Der Väter Fluch
empfing sie an der Tür. Sie trug eine kurzärmelige weiße Seidenbluse zu einem rotbraunen Rock, der oberhalb der Knie endete, und rotbraune Pumps. Sie zeigten ihre Dienstmarken. Die Frau trat zur Seite und ließ sie. Sie war außer Atem.
»Ich bin Maryam Estes.« Als sie den Raum betreten hatten, schloss sie die Tür hinter ihnen ab. »Hier entlang.«
Sie folgten ihr den Flur hinunter, wobei ihre Absätze tiefe Abdrücke im weichen Teppich hinterließen. Sie ging schnell und etwas verkrampft.
»Sind Sie auch Ärztin?«, wollte Oliver wissen.
»Dr. Phil.«, sagte sie über die Schulter.
Schweigen.
»Ich glaube, sie mag mich«, flüsterte Oliver Marge zu. »Halt den Mund.«
Immer noch heftig atmend, führte sie sie in ein prachtvoll ausgestattetes Büro. An den vertäfelten Wänden hingen Ölgemälde von Landschaften in vergoldeten Rahmen; auf dem glänzenden Parkett lagen mehrere Perserteppiche. Der Raum war mit eleganten Tischen, Stühlen, Sofas und Bücherschränken bestückt, die wie Antiquitäten wirkten, aber brandneu aussahen. In der Mitte befand sich ein Doppelschreibtisch aus Nussbaumholz mit üppig geschnitzten Seitenflächen: Blüten, Ranken, Blätter. Durch hohe Flügelfenster hatte man einen Ausblick auf die Stadt.
Marge sah sich um. Auf dem Schreibtisch standen zwei Computer; daneben lagen mehrere Schreibblöcke, Stifte, Ordner und Papierstapel. Sie fuhr mit dem Finger über eine freie Fläche auf der glatten Nussbaumplatte - kein Staub. Hier hatte vor kurzem jemand gründlich gewischt.
»Nehmen Sie doch bitte Platz«, sagte Maryam.
Marge setzte sich auf ein altrosa gepolstertes Sofa, Oliver jedoch schlenderte lieber im Zimmer herum und taxierte die junge Frau. Sie war nicht schön - das Gesicht war zu rund, die Augen standen zu eng beieinander -, aber sehr attraktiv. Eine tolle Figur, schöne Haut, volle Lippen, einfach zum Reinbeißen.
»Ist ja riesig.« Er schaute in ihre dunklen Augen und lächelte. »Hier könnte man ja Walzer tanzen!«
»Sie haben hier oft gruppentherapeutische Sitzungen abgehalten.« Sie wandte den Blick ab. »Dafür wird viel Platz benötigt.«
»Was kostet denn so was an Miete?«
Die Frau wurde abweisend. »Das weiß ich nicht, aber ich glaube kaum, dass das im Moment von Interesse ist.«
»Nein, wahrscheinlich nicht.«
Sehr schön Süßholz geraspelt, Scott. Aber hinter Olivers scheinbarer Inkompetenz steckte oft Methode. Marge blickte zum Schreibtisch. »Haben sich die Baldwins ein Arbeitszimmer geteilt?«
»Sie haben beide noch ein eigenes Behandlungszimmer.«
»Also außer dem Warte- und dem Ballsaal gibt es hier auch noch einzelne Behandlungszimmer?«
»Man kann eine Einzeltherapie nicht dauernd unterbrechen, weil der Partner nach einem Aktenordner suchen muss.«
»Also hier...«, Marge wies auf die Einbauschränke aus Eichenfurnier entlang der Rückwand, »...hier stehen also die Patientenakten?«
»Die aktuellen, ja.«
»Schließen Sie die nicht weg?«
»Natürlich sind die Schränke abgeschlossen!« Maryam nahm offensichtlich Anstoß an dieser Bemerkung. »Ich will nicht unhöflich sein, aber wieso sind Sie eigentlich hier? Sollten Sie sich nicht um Dee Baldwin kümmern? Müssten Sie nicht nach ihr suchen}«
» Das tun wir doch, Dr. Estes - natürlich nicht wir persönlich, aber Dee Baldwin steht ganz oben auf der Suchliste der Polizei von Los Angeles. Wir sind hier, weil wir Ihre Hilfe brauchen.«
»Hilfe?« Maryam befeuchtete die Lippen. »Inwiefern?«
»Informationen«, sagte Oliver. »Wir suchen nach Schuldigen. Dr. Baldwin hat schließlich ein paar ziemlich gestörte Leute behandelt, und da dachten wir, es könnte vielleicht einer seiner Patienten gewesen sein.«
»Aus Rache«, fügte Marge hinzu. »Wissen Sie von irgendeinem Patienten, der Dr. Baldwin oder seiner Frau Rache geschworen hatte?«
Kopf schütteln. »Da fällt mir im Moment keiner ein. Und selbst wenn mir einer einfiele, könnte ich Ihnen nicht helfen. Wir unterliegen der ärztlichen Schweigepflicht.«
»Nicht wenn es um das unmittelbare Wohlergehen eines lebenden Menschen geht«, sagte Marge. »Sie kennen doch die Entscheidung im Fall Tarasoff.«
»Das gilt aber nicht, wenn die betreffende Person schon tot ist.«
»Da haben Sie völlig Recht«, stimmte Oliver zu. »Dann dürften Sie ja nichts dagegen haben, uns ein paar Fragen zu Ernesto Golding zu beantworten.«
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»Da kann ich Ihnen auch nicht weiterhelfen, denn ich weiß nichts über Ernesto Golding.«
»Können
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