Der Vampir, den ich liebte
Man konnte sich nun durchaus mit ihm in der Öffentlichkeit zeigen.
Ohne peinlich berührt zu sein. Mindy würde höchstwahrscheinlich in Ohnmacht
fallen, wenn sie ihn so sah.
»Also, was
hältst du davon, jetzt noch den ollen Samtmantel loszuwerden?«, fragte ich
mutig.
»Niemals.«
So viel zum
Thema Peinlichkeit.
Beladen mit
einer Unmenge Einkaufstüten gingen wir schließlich auf den Wagen zu, als Lucius
ganz plötzlich stehen blieb, eine Tüte fallen ließ und mich am Arm packte.
Ich drehte
mich um. »Was?«
Er blickte
in das Schaufenster eines Ladens namens Boulevard St. Michel, einer schicken
Boutique mit sehr, sehr teuren Kleidern. Der Art Kleidern, die reiche Frauen zu
Cocktailpartys tragen. Ich hatte das Geschäft noch nie betreten. Zum einen
hielt mein Dad nichts von Trockenreinigung, weil die Verwendung von
Perchlorethylen umweltschädigend war. Und zum anderen konnte ich mir nicht mal
einen einzigen Schuh von Boulevard St. Michel leisten, nicht einmal zu
Outlet-Preisen. Nicht einmal nach einem ganzen Sommer Kellnern.
»Was hast
du vor?«
Lucius
starrte immer noch in das Schaufenster. »Dieses Kleid – das mit den Blumen auf
dem Mieder ...«
»Hast du
gerade ›Mieder‹ gesagt?«
»Ja, und
der Rock ...«
»Das Kleid
mit dem Neckholder-Ausschnitt?«
»Ja. Das
meine ich. In so etwas würdest du umwerfend aussehen.«
Alles klar.
Lucius war endgültig übergeschnappt. Er hielt sich nicht nur für einen Vampir,
jetzt glaubte er auch noch, ich sei eine dreißig Jahre alte
Cocktailparty-Besucherin. Ich prustete los. »Du bist echt verrückt. Das Design – und der Preis – sind etwas für Frauen, die abends solche Dinge tun wie, keine Ahnung, in
klassische Konzerte gehen oder so.« Er warf mir einen Blick zu. »Was ist an
klassischen Konzerten auszusetzen?«
»Gar
nichts. Nur dass ich nicht hingehe. Ich meine, kannst du dir mich in diesem
Kleid beim 4-H-Turnier-Wettbewerb vorstellen? Außerdem wette ich, dass es ein
Vermögen kostet.«
»Probier
das Kleid an.«
Ich machte
einen Schritt rückwärts. »Auf keinen Fall. Ich bin mir hundertprozentig sicher,
dass sie da drin keine Teenager mögen.«
Lucius
lachte spöttisch. »Sie mögen jeden, der genug Geld hat.«
»Dann
werden sie mich nicht mögen. Ich habe nicht mal genug Geld, um einen Blick in
den Laden zu werfen.«
»Aber ich.«
»Lucius
...« Doch ich gebe es zu, ich war irgendwie schon fasziniert. Es war ein
schönes Kleid. Ich hatte noch nie etwas
in der Art anprobiert. Es war so ... elegant. Es hatte die
Farbe von frischer Sahne und der Stoff war über und über mit winzigen schwarzen
Blumen bestickt; sie folgten
nicht direkt einem Muster, aber das machte das Kleid
irgendwie noch hübscher. Es erinnerte mich an die Chaos-Theorie: willkürlich,
aber schön in ihrer Einfachheit. Das Dekolleté war gewagter als alles, was ich
je getragen hatte. Ich zog Lucius am Arm weiter. »Komm. Lass uns gehen.«
Aber Lucius
blieb stehen und natürlich war er stärker als ich. »Schau es dir wenigstens an.
Jede Frau braucht schöne Dinge.«
»Das da brauche ich nicht.«
»Natürlich
tust du das. Du solltest es zum Beispiel zu dieser
›Herbstparty‹ tragen, die du mit dem unzivilisierten Bauernburschen
besuchen willst. Es wäre absolut passend für solche Anlässe.«
»Er ist
nicht unzivilisiert.«
»Probier
das Kleid an.«
»Ich habe
jede Menge Klamotten«, beharrte ich.
»Ja. Und du
solltest sie alle wegwerfen. Vor allem das T-Shirt mit dem weißen Pferd, dem
Herzen und dem Buchstaben I vorne drauf. Was ist eigentlich der Sinn
des Ganzen?«
»Ich zeige
damit, dass ich Araber liebe«, antwortete ich. »Ich liebe blutige Steaks, aber
ich trage kein Bild von rohem Rindfleisch auf der Brust.«
»Ich habe
mir schon ein Outfit für die Party ausgesucht.« Lucius runzelte die Stirn. »Ein
Schnäppchen aus dem ›Einkaufszentrum‹ nehme ich an?«
Ich wurde
rot. Ich hasste es, wenn Lucius recht hatte. »Glaub mir«, sagte er. »Du wirst
es nicht bereuen, dieses Kleid anzuprobieren. Es ist wie für dich geschaffen.«
Ich kniff
die Augen zusammen. »Woher willst du wissen, wie Mädchen sich anziehen
sollten?«
»Ich weiß
nicht, wie Mädchen sich anziehen sollten. Ich weiß, wie Frauen sich möglichst
vorteilhaft kleiden.« Lucius lächelte herablassend. »Jetzt komm mit. Mir
zuliebe.«
Lucius
betrat den Laden und mir blieb nichts anderes übrig, als ihm zu folgen. Wie ich
vorausgesehen hatte, wirkte die Verkäuferin alles andere als begeistert
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