Der Vampir, den ich liebte
Abendessen jedenfalls bemüht,
nett zu dir zu sein.«
Lucius
zuckte die Achseln. »Ich sehe ihn in der Schule, wie er sich abrackert,
grundlegende Konzepte der englischen Literatur zu begreifen. Das lässt tief
blicken, findest du nicht auch?«
»Okay, Jake
mag Moby Dick nicht. Wen schert das? Ich mag das Buch auch nicht.«
Lucius
schien enttäuscht von mir zu sein. Oder traurig wegen irgendetwas. Vielleicht
auch beides. »Ich stelle fest, dass ich heute Abend in einer für mich sehr
ungewöhnlichen Stimmung bin, Jessica«, bemerkte er und mied abermals meinen
Blick. »Ich bin keine besonders gute Gesellschaft. Würdest du mich daher bitte
entschuldigen? Mich meiner einsamen Beschäftigung überlassen?«
»Lucius
...«
»Bitte,
Jessica.« Er kehrte mir den Rücken zu und warf den Ball aus dem Handgelenk
heraus, mit einer kaum merklichen Bewegung. Der Ball flog durch den Ring, ohne
ihn auch nur zu berühren.
»Na schön.
Ich gehe.«
Lucius übte
immer noch Korbwürfe, als ich eine Stunde später erneut nach ihm sah. Es war
dunkel draußen, er spielte in dem kleinen Lichtkreis eines Flutlichts an der Garage.
Inzwischen war er zu Sprungwürfen übergegangen. Ich wollte ihm einen Gruß
zurufen, änderte dann aber meine Meinung noch einmal. Etwas an der
Entschlossenheit, mit der Lucius Schuss um Schuss um Schuss im Korb versenkte,
ohne sein Ziel jemals zu verfehlen, beängstigte mich. Er sprang mit großer
Leichtigkeit und schmetterte den Ball dann von oben durch den Ring, als müsse
er ihn für irgendetwas bestrafen.
Kapitel 18
Lieber Onkel Vasile,
ich
sende dir meine besten Wünsche, während wir uns dem Halloweenfest nähern. Du
fändest großen Gefallen an den naiven, aber allgegenwärtigen Darstellungen von
Vampiren, die die Amerikaner zu dieser Jahreszeit ein wenig zwanghaft zur
Schau stellen. Man scheint zu glauben, dass unsere ganze Rasse aus bleichen
Männern mittleren Alters mit einer genetischen Veranlagung zu »Geheimratsecken«
und dem Hang zu übermäßiger Verwendung von Haargel besteht.
Aber zur
Sache. Es widerstrebt mir einzugestehen, dass mir die Situation zunehmend aus
den Händen gleitet.
Wie ich
schon in meinem letzten Brief erwähnte, habe ich zahlreiche »amerikanische«
Strategien ausprobiert, um eine Beziehung zu Antanasia aufzubauen – dazu gehört
auch, dass ich jetzt »Jeans« trage (ziemlich bequem übrigens) und, wie ich
bereits erwähnte, Basketball spiele, ein Sport, der »in« ist. (Nenn mich
zukünftig einfach »Nummer 23«.)
Bisher
scheint Antanasia jedoch nicht im Mindesten beeindruckt zu sein von meinen
Bemühungen. Stattdessen lässt sie sich mehr und mehr mit dem Bauern ein.
(Vasile, wenn du seinen Versuch gehört hättest, Konversation zu machen ... Es
ist unerträglich, wirklich. Ich würde mir lieber die allgegenwärtigen Linsen
in die Ohren stopfen, als ihm länger als zwei Minuten zuhören zu müssen.)
Ehrlich
gesagt, Antanasia verwirrt mich ziemlich. Erst neulich dachte ich, wir hätten
einen signifikanten Durchbruch erzielt. Ich habe für sie das denkbar
prächtigste Kleid erstanden – wirklich, wenn du sie darin gesehen hättest,
wärest du zu dem Schluss gekommen, dass sie beinahe bereit ist, den Thron zu
besteigen ... Einen winzigen Augenblick lang dachte ich, wir hätten
Fortschritte gemacht. Der Ausdruck in ihren Augen, als sie sich im Spiegel
betrachtete ... Sie war wie verwandelt, Vasile. Auch mir gegenüber verwandelt
... ich hätte es schwören können.
Aber der
Bauer klammert sich an sie wie ein Parasit. Ein Blutegel oder eine Zecke, die
nicht entfernt werden kann. Was sieht Antanasia bloß in ihm? Und warum beharrt
sie darauf es zu sehen? Ich hätte ihr so viel mehr zu bieten. Insbesondere
Konversation. Schlagfertigkeit. Ganz zu schweigen von der Führung zweier
mächtiger Clans. Eine Burg. Diener. Alles, was sie sich wünscht. Alles, was sie
verdient, Vasile.
Verdammt.
Ich schweife ab.
Der
Punkt ist, ich befürchte, dass du von mir enttäuscht sein wirst, wenn es mir
nicht gelingt, Antanasia dazu zu bewegen, den Pakt zu erfüllen und mich als
ihren Gemahl zu akzeptieren. Und in aller Freimut, deine Enttäuschung ist eine
ziemlich beunruhigende Aussicht. Daher fühle ich mich gezwungen, dich über die
weitere Entwicklung der Situation auf dem Laufenden zu halten. Denn gewiss
würde ich dir keinen unerwarteten Fehlschlag präsentieren wollen. Und so
möchte ich dich lieber auf den schlimmsten Fall vorbereiten – auch wenn ich
vollauf beabsichtige,
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