Der Vampir der mich liebte
Bellefleur getroffen, aber irgendwie wurde nichts daraus. Man munkelte, dass die alte Caroline Bellefleur, Andys Großmutter, der Ansicht war, Holly sei nicht gut genug für ihren Andy. Ich hatte dazu keine Meinung. Weder Holly noch Andy standen auf der Liste meiner besten Freunde, obwohl ich für Andy eindeutig weniger übrig hatte.
Als Holly die Tür aufmachte, erkannte ich ganz plötzlich, wie sehr sie sich in den letzten paar Wochen verändert hatte. Jahrelang hatte sie ihr Haar goldgelb wie Löwenzahn gefärbt. Doch jetzt war es von einem stumpfen Schwarz und raspelkurz. In jedem Ohr hatte sie vier Piercings. Und ich sah, wie ihre Hüftknochen sich unter dem dünnen Denim ihrer alten Jeans abzeichneten.
»Hallo, Sookie«, sagte sie freundlich. »Tara bat mich, mit dir zu reden, aber ich war nicht sicher, ob du überhaupt auftauchen würdest. Das mit Jason tut mir leid. Komm doch herein.«
Das Apartment war klein, was sonst, und obwohl es erst kürzlich frisch gestrichen worden war, zeigte es deutliche Spuren jahrelangen Gebrauchs. Wir gingen in eine Wohnzimmer-Esszimmer-Küchen-Kombi mit einer Art Frühstückstheke, die den eigentlichen Küchenbereich vom Rest des Raums abtrennte. In einer Ecke stand ein Korb mit Spielsachen, und auf dem zerkratzten Tisch sah ich eine Putzmittelflasche, neben der ein Wischlappen lag. Holly war gerade dabei zu putzen.
»Tut mir leid, wenn ich störe«, sagte ich.
»Das macht nichts. Coke? Saft?«
»Nein, danke. Wo ist Cody?«
»Bei seinem Vater«, sagte sie und sah hinunter auf ihre Hände. »Ich hab' ihn einen Tag nach Weihnachten hingefahren.«
»Wo wohnt sein Vater denn?«
»David wohnt in Springhill. Er hat gerade wieder geheiratet. Seine neue Frau hat bereits zwei Kinder. Ihre kleine Tochter ist im Alter von Cody, und er spielt unheimlich gern mit ihr. Dauernd heißt es >Shelley dies< und >Shelley das<.« Holly wirkte ziemlich niedergeschlagen.
David Cleary entstammte einer riesengroßen Sippe. Sein Cousin Pharr war in meinem Schuljahrgang gewesen. Codys Genen zuliebe hoffte ich, dass David intelligenter war als Pharr, was wirklich nicht allzu schwer sein dürfte.
»Ich muss mit dir über etwas ziemlich Persönliches reden, Holly.«
Holly wirkte ganz überrascht. »Nun, so eng waren wir eigentlich nie befreundet, oder?«, sagte sie. »Aber frag ruhig, ich kann dann immer noch entscheiden, ob ich antworte.«
Ich versuchte in Worte zu fassen, was ich sagen wollte - und dabei geheim zu halten, was ich geheim halten musste, und trotzdem das Notwendige von ihr zu erfahren, ohne sie zu kränken.
»Du bist doch eine Hexe?«, fragte ich, verlegen, weil ich einen so theatralischen Ausdruck gebrauchte.
»Ich bin eher eine Wicca.«
»Würde es dir was ausmachen, mir den Unterschied zu erklären?« Einen kurzen Moment sah ich ihr in die Augen, dann beschloss ich, mich doch lieber auf den Trockenblumenstrauß auf dem Fernseher zu konzentrieren. Holly glaubte, ich könnte ihre Gedanken nur lesen, wenn ich ihr direkt in die Augen sah. (So wie körperliche Berührung vereinfacht Blickkontakt das Gedankenlesen zwar, ist aber keineswegs nötig.)
»Das kann ich schon tun.« Sie sprach sehr langsam, als würde sie sich jedes Wort genau überlegen. »Du bist ja keine, die herumtratscht.«
»Was immer du mir erzählst, werde ich an niemand weitergeben.« Noch einmal sah ich ihr in die Augen, nur ganz kurz.
»Okay«, sagte sie. »Also, wenn du eine Hexe bist, praktizierst du, natürlich, magische Rituale.«
Sie benutzte das »du« als so eine Art Verallgemeinerung, schien mir, »ich« zu sagen wäre wohl ein zu kühnes Eingeständnis gewesen.
»Du schöpfst von einer Macht, von der die meisten Leute niemals etwas ahnen. Eine Hexe sein heißt nicht böse sein, oder wenigstens ist es so nicht gedacht. Als Wicca gehörst du einer Religion an, einer heidnischen Religion. Wir folgen den Wegen der Mutter, und wir haben unseren eigenen Kalender heiliger Festtage. Du kannst beides sein, sowohl Wicca wie Hexe, oder mehr das eine oder auch mehr das andere. Das ist ziemlich individuell. Ich praktiziere ein wenig Hexenkunst, bin aber viel stärker am Wicca-Leben interessiert. Wir glauben daran, dass deine Handlungen okay sind, solange sie niemand anderen verletzen.«
Seltsam, mich überkam ein Gefühl größter Verlegenheit, als Holly mir erzählte, dass sie keine Christin war. Ich war noch nie jemandem begegnet, der nicht zumindest vorgab, Christ zu sein, oder wenigstens ein
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