Der Vampirprinz: Royal House of Shadows (German Edition)
Gedanken im Vergleich trüb und unwichtig geworden waren.
Jetzt fühlte er Wut. So viel Wut, und nur auf die Wachen gerichtet.
Sie hatten Jane den reich verzierten Gang entlanggeschleift, in dem lauter Porträts der Königin und ihrer Töchter hingen, die geschwungene Treppe mit ihrem dunkelvioletten Teppich hinab und in den extravaganten Bankettsaal. Auch wenn sie sich nicht mehr im Schlafzimmer befand, konnte Nicolai sie noch sehen. Als wären seine Gedanken auf irgendeine Art mit ihren verbunden. Sie wehrte sich den ganzen Weg entlang. Erst als man sie über die Festtafel beugte und ihr Gesicht gegen das polierte Holz drückte, erst als man ihr das Gewand am Rücken aufriss, hatte sie sich beruhigt.
Schwer atmend drehte sie den Kopf, um die Königin anzusehen. Die Herzkönigin, eine Frau, die dafür bekannt war, sich an den noch pulsierenden Organen zu laben, die sie auf der nie enden wollenden Suche nach ewiger Jugend für ihre Zauber und Beschwörungen benutzte.
„Tut das nicht“, flehte Jane. „Ich wollte Euch nicht beleidigen.“
Die Königin hob eines ihrer vielen Kinne, und die anderen wackelten darunter. „Und doch hast du es getan.“
„Es tut mir leid.“
„Es wird dir gleich noch viel mehr leidtun.“
„Bitte“, sagte Jane, und ihre Haut war zugleich blass vor Angst und leuchtete vor Anstrengung. „Gebt mir noch eine Chance.“
Vielleicht antwortete die Königin etwas. Nicolai würde es nie erfahren. Er war zu sehr von Janes Rücken gebannt. Sie trug bereits Narben. Mehr, als er jemals zählen könnte. Sie rankten sich um ihre Wirbelsäule bis zu ihren Rippen, rot und zornig, Bänder des Schmerzes. Sie erstreckten sich hinab bis dorthin, wo ihr Gewand sich teilte, und vielleicht sogar an ihren langen Beinen entlang.
Was zur Hölle hatte man ihr angetan?
Seine Schuldgefühle erwachten zu neuem, heulendem Leben, und dieses Mal konnte er sie nicht unterdrücken. Er hatte sie in diese Situation gebracht. Diese zarte, verlorene Frau mit dem verlockenden Duft, die ihm einen Sonnenstrahl in seinen dunklen Abgrund geschickt hatte. Sie war gekommen, um ihn zu retten, und sie hatte ihm genug vertraut, um sich auf ihn zu setzen, während sie sich unterhielten. Hatte sich an ihm gerieben, seine Lust in ungekannte Höhen getrieben, selbst ohne den Höhepunkt zu erreichen. Und ihr Widerstand – bei den Göttern, er wollte ihn ihr austreiben. Immer noch. Er wollte sie seine Bisse spüren lassen, und seine Küsse.
Wollte sie nehmen.
Vielleicht war sie auch nur eine Herausforderung, der er sich stellen musste. Es war ihm egal. Sie war ganz einfach sein. Das stand außer Frage. Mein, riefen alle Zellen seines Körpers weiterhin. Ganz mein.
Er konnte nicht zulassen, dass sie ausgepeitscht wurde.
Nicolai sah zu dem Schlüssel, der an seiner Seite lag. Jane hatte ihn ihm zugeworfen, und er war auf der Matratze gelandet. Mutig von ihr, aber nutzlos. Er konnte sich nicht weit genug vorbeugen, um ihn mit dem Mund zu erreichen. Er konnte seine Hand nicht genug verdrehen, um ihn zu fassen. Er konnte nichts damit anfangen. Und doch, dass sie es überhaupt versucht hatte, im Angesicht der Gefahr, die ihr selbst drohte … berührte ihn.
Er würde fliehen. Was auch immer dafür nötig war. Er würde sie retten.
Noch nie zuvor hatte man ihn allein außerhalb seiner Zelle gelassen, ohne dass eine Wache in der Nähe war. Er riss an seinen Handschellen. Die Metallglieder kratzen auf seiner bereits eingeschnittenen Haut und gruben sich immer tiefer und tiefer in sein Fleisch. Er hatte an ihnen gezerrt, als er nach Jane greifen wollte, aber da war es ihm egal gewesen, er hatte keinen Schmerz gespürt außer seinem schmerzlichen Begehren. Jetzt spürte er den Schmerz. Er ließ sich nur nicht davon abhalten.
Wie zuvor hielten die Riegel stand, an seinen Handgelenken und am Bett. Er knirschte mit den Zähnen. Sein Hass auf Laila, ihre Mutter und ganz Delfina wuchs immer weiter. Zerstören …
Er schloss die Augen und konzentrierte sich auf die Macht, die in ihm verschlossen war. Da war sie, dunkel, so dunkel, ein Sturm, der nur darauf wartete, losgelassen zu werden, und der verzweifelt in ihm brodelte. Und alles, was er tun musste, war, den Glaskäfig zu durchbrechen, den man in ihm errichtet hatte.
Ein Glaskäfig, durch dessen Mitte dünne Risse liefen, wie Flüsse auf einer Landkarte.
Nutz sie aus. Er schlug gegen das Glas seiner Gedanken, immer und immer wieder. Nichts. Er kratzte daran. Immer noch nichts.
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