Der Vampyr
längere Rast durch reiten würden, bis sie Petershausen erreichten; was frühestens um die Mittagsstunde des nächsten Tage der Fall sein würde.
Draculs Furcht vor der heran rückenden türkischen Armee schien größer zu sein als er zugab. Möglicherweise hatte er einen guten Grund dafür. Es mußte Mitternacht sein, als Andrej sich im Sattel herumdrehte und nach Osten zurücksah, in die Richtung, aus der sie gekommen waren. Der Horizont glühte in einem dunklen Rot.
Etwas brannte. Etwa Großes. Vielleicht nur das Heerlager der Türken, dessen Lagerfeuer den Himmel erhellte. Vielleicht auch Rettenbach. Die Nacht zog sich dahin. Als der Morgen graute, legten sie eine zweite, etwas längere Rast ein, in de Tepesch Andrejs erneute Bitte, Abu Dun sofort frei zulassen, wiederum abschlug. Sie ritten weiter und e: reichten am frühen Nachmittag die bewaldeten Hügel um Petershausen am Oberlauf des Flusses Arges, nicht weit entfernt von Poenari, auf dessen steilen Felsen der Walachen-Fürst gerade eine neue mächtige Burg errichten ließ, wie Andrej gehört hatte. Aber vielleicht war das auch nur ein Gerücht, das Tepesch in die Welt gesetzt hatte, um seine Feinde zu beeindrucken. Die Stadt Petershausen zumindest war real; sie war deutlich größer als Rettenbach und von einer wehrhaften, gut fünf Meter hohen Mauer umgeben, in die drei gewaltige Rundtürme eingebettet waren. Dahinter, schon fast an der Grenze des überhaupt noch Erkennbaren, erhob sich der düstere Umriss einer mittelgroßen Burg; Waichs, Vladimir Tepeschs gefürchteter Stammsitz. Als sie sich dem Tor näherten, zügelte Andrej sein Pferd und sah Tepesch auffordernd an.
»Abu Dun.« Auch Dracul hielt an. Andrej war schon fast überzeugt, das er sich nur einen seiner grausamen Scherze mit ihm erlaubte, aber dann nickte er und machte eine befehlende Geste.
»Bindet ihn los. Er kann gehen. Niemand wird ihn anrühren, habt ihr gehört?« Nicht nur Andrej war überrascht, als Vlad sein Pferd an das des Piraten heranlenkte und seine Handfesseln durchtrennte.
Abu Dun riss ungläubig die Augen auf und starrte abwechselnd seine Hände, Tepesch und Andrej an. Er hatte sichtlich Mühe, zu glauben, was er sah.
»Worauf wartest du, Heide?«, herrschte Tepesch ihn an.
»Verschwinde. Reite zu deinen Brüdern und sag ihnen, das ich auf sie warte.«
»Das … möchte ich nicht«, sagte Abu Dun stockend.
»Wie?« Tepesch legte lauernd den Kopf auf die Seite. Abu Dun sah nicht ihn, sondern Andrej an.
»Ich bleibe bei dir.«
»Was soll denn dieser Unsinn?«, fragte Andrej.
»Es ist kein Unsinn«, antwortete Abu Dun. Er versuchte, gleichmü-
tig zu wirken, aber seine Stimme klang ein ganz kleines bisschen brüchig und er konnte nicht verhindern, das sein Blick immer wieder in Draculs Richtung irrte.
»Schließlich haben wir eine Abmachung.«
»Du bist verrückt«, sagte Andrej.
»Aber Andrej «, mischte sich Tepesch ein.
»Du wirst doch deinem Freund diesen Wunsch nicht abschlagen?
Ich bin enttäuscht.« Er richtete sich im Sattel auf und sprach mit lauterer Stimme weiter.
»Ihr habt es alle gehört! Der Mohr ist mein Gast und ihr werdet ihn als solchen behandeln!« Andrej starrte Abu Dun an und zweifelte für einen Moment ernsthaft an dessen Verstand. Sie in diese Stadt zu begleiten bedeutete Abu Duns sicheren Tod. Bildete sich der ehemalige Sklavenhändler tatsächlich ein, das Tepesch ein Mann von Ehre war? Andrej war sicher, das Dracul nicht einmal wußte, was dieses Wort bedeutete.
»Vlad, du wirst mit den anderen weiterreiten«, fuhr Tepesch fort.
»Ich sorge dafür, das unsere Gäste standesgemäß untergebracht werden. Dann folge ich euch.« Vlad zögerte. Er wirkte regelrecht bestürzt.
»Herr, seid Ihr sicher, das …« Tepesch starrte ihn an, und Vlad verstummte und senkte hastig den Blick.
»Wie Ihr befehlt.« Er drehte hastig sein Pferd herum und sprengte los. Der Rest der kleinen Truppe folgte ihm. Für einen Augenblick waren sie allein. Zwar nur wenige Meter von der Stadtmauer entfernt, aber allein und nicht einmal gefesselt.
»Ich weiß, was jetzt hinter deiner Stirn vorgeht«, sagte Dracul.
»Zweifellos bist du dazu fähig, mich anzugreifen und zu töten, bevor mir jemand aus der Stadt zu Hilfe eilen könnte, obwohl ich bewaffnet bin und du nicht. Wirst du es tun?«
»Du bist wahnsinnig«, sagte Andrej.
»Mag sein.« Tepesch deutete auf das offen stehende Stadttor Petershausens.
»Tu es oder reite dort hinein. Meine Zeit ist
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