Der Vampyr
Ende des Ganges.«
»Wie viele Wachen? Rede!«
»Keine«, wimmerte der Mann.
»Das ist die Wahrheit! Der Fürst duldet keine Männer mit Waffen in seiner Nähe, wenn er sich zurückzieht.« Andrej griff nun doch nach seinem Hals und drückte kurz und hart auf den Nervenkno-ten. Der Mann brach wie vom Blitz getroffen zusammen. Andrej verzichtete darauf, ihn zu fesseln, ging jedoch noch einmal zu dem zweiten Wachtposten zurück, um ihn auf den Rücken zu drehen.
Der Mann war tot. Es war nicht Andrejs Schlag gewesen, der ihn getötet hatte. Er war etliche Stufen weit die Treppe hinunterge-stürzt und hatte sich den Schädel eingeschlagen. Andrejs Hände begannen zu zittern. Das Gesicht des Toten war rot von Blut, das aus einer tiefen Wunde an seiner Stirn quoll. Der Anblick brachte ihn fast um den Verstand. Die Gier war wieder da. Für einen Moment wollte er nichts mehr, als die Lippen auf diesen pulsierenden Storm zu pressen, die bittere Süße aufzusaugen und das Blut und die erlöschende Lebenskraft des Mannes aus ihm herauszureißen.
Was machte es schon? Der Mann starb sowieso und es war nicht schlimm, wenn er seine Lebenskraft nahm, die ohnehin verloren war und verblassen würde. Es gelang ihm nur mit größter Mühe, die Schultern des Toten loszulassen und sich aufzurichten. Er widerstand der brodelnden Gier, aber nur mit allerletzter Kraft. Andrej ging wieder nach oben, öffnete die Tür und fand sich in dem schwach erhellten Gang wieder, in dem er bei seinem ersten Aufenthalt gewesen war. Es gab keine weiteren Wachen, aber er hörte ein leises Schluchzen, das durch die geschlossene Tür am anderen Ende des Ganges drang. Andrej bewegte sich im Laufschritt weiter, riss vergeblich an der Tür und stellte erst dann fest, dass der Riegel von außen vorgelegt war. Mit einer ungeduldigen Bewegung schleuderte er ihn zur Seite und stieß die Tür auf. Diesmal entrang sich seiner Kehle tatsächlich ein Schrei. Der große Raum wurde von mindestens fünfzig Kerzen erleuchtet, deren Licht in Andrejs empfindlich gewordenen Augen schmerzte. Im Kamin brannte ein gewaltiges Feuer, das die Luft im Raum unangenehm warm und fast schon stickig werden ließ. Zuerst glaubte er, der Posten hätte gelo-gen und Tepesch selbst stünde hinter der Tür und warte auf ihn.
Dann erkannte er, dass es nur seine leere Rüstung auf einem aus Holz gezimmerten Ständer war. Außer ihm befand sich nur noch Maria im Zimmer. Sie lag auf Draculs übergroßem Bett und war beinahe nackt. Als sie das Geräusch der Tür hörte, fuhr sie erschrocken hoch und raffte die Decken zusammen, um ihre Blöße zu be-decken. Sie weinte. Ihr Haar war aufgelöst. Die rechte Seite ihres Gesichts war gerötet und begann bereits anzuschwellen. Unter ihrer Nase und auf der Oberlippe klebte ein wenig getrocknetes Blut.
Andrej war mit wenigen schnellen Schritten bei ihr. Maria schien ihn jedoch gar nicht zu erkennen, denn sie prallte entsetzt vor ihm zurück, zog die Knie an den Leib und krallte beide Hände in das Bettlaken, das sie bis ans Kinn hochgezogen hatte. In ihren Augen flackerte eine Furcht, die die Grenzen zum Wahnsinn vielleicht schon überschritten hatte.
»Maria!« Andrej streckte die Hand nach ihr aus, aber sie schrak nur noch heftiger zusammen. Aus ihrem Weinen war ein krampfhaftes, gequältes Schluchzen geworden.
»Maria, bitte! Andrej ließ sich behutsam auf die Bettkante sinken und zog den Arm weiter zurück. Er ließ die Hand halb ausgestreckt, in einer helfenden Geste, die es ihr überließ, danach zu greifen. Maria hörte auf zu schluchzen, aber sie zitterte so heftig, dass das gesamte Bettgestell zu beben begann. Ihr Blick flackerte. Für die Dauer eines Atemzuges wusste Andrej, dass sie ihn nicht erkannte.
Dann schrie sie plötzlich auf und warf sich mit solcher Wucht gegen ihn, dass er um ein Haar von seinem Platz auf der Bettkante gestürzt wäre. Sie begann wieder zu weinen, lauter und heftiger als zuvor, aber nun war es nicht mehr dieses krampfhafte, schmerzer-füllte Schluchzen, das sie schüttelte. Es waren andere Tränen; Trä-
nen der Erleichterung, die den Schmerz nicht wegspülten, es aber ein wenig leichter machten, ihn zu ertragen. Andrej hielt sie fest, bis sie ganz allmählich aufhörte zu zittern und ihre Tränen versiegten.
Es dauerte lang. Andrej wusste nicht, wie lange, aber es verging viel Zeit. Endlich, nach einer Ewigkeit, löste sich Maria wieder aus seiner Umarmung und rutschte ein Stück von ihm weg.
»Tepesch?«,
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