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Der Vampyr

Titel: Der Vampyr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Schwert zu ziehen und Waichs zu stürmen«, antwortet Andrej. Er hob die Stimme und drehte sich zu den Türken herum.
    »Versteht einer von euch unsere Sprache?« Einer der Männer stieg aus dem Sattel und kam steifbeinig näher. Der Gewaltritt war auch an diesem Krieger nicht spurlos vorübergegangen. Er sah Andrej aufmerksam in die Augen und nickte.
    »Von hier aus gehe ich allein weiter«, sagte er.
    »Ihr wartet, bis die Sonne untergegangen ist, dann folgt ihr mir. Aber seid vorsichtig. Tepesch hat mit Sicherheit Wachen aufgestellt.«
    Der Mann schwieg eine geraume Weile und als Andrej kaum noch damit rechnete, antwortete er schleppend und mit einem Dialekt, der seine Worte bis zu den Grenzen der Unverständlichkeit verzerrte:
    »Wir kommen mit. Der Sultan hat es befohlen.«
    »Das weiß ich«, antwortete Andrej.
    »Aber ich brauche euch hier draußen. Nur ein Mann allein hat eine Chance, unbemerkt in die Burg zu kommen. Aber ich brauche möglicherweise jemanden, der meinen Rücken deckt.« Er war nicht ganz sicher, ob der Mann verstand, was er sagte, aber er widersprach nicht sofort, sodass er mit einer deutenden Geste fortfuhr:
    »Es gibt einen geheimen Weg in die Burg hinein. Abu Dun kennt ihn. Er wird euch dorthin bringen.«
    »Hast du nicht gerade selbst gesagt, das wir diesen Weg nicht mehr nehmen können?«, fragte Abu Dun.
    »Nicht hinein«, antwortete Andrej.
    »Aber vielleicht hinaus.« Er zuckte mit den Schultern.
    »Irgendeinen Treffpunkt brauchen wir schließlich, oder? Du erinnerst dich an den Platz, den Tepesch uns gezeigt hat?« Abu Dun nickte.
    »Dann treffen wir uns dort, nach Sonnenuntergang. Wenn ich bis Mitternacht nicht zurück bin, dann braucht ihr nicht mehr auf mich zu warten.«

    17
    Es dämmerte, als er sich der Rückseite der Burg näherte. Waichs sah mehr denn je aus wie ein Schatten, dem es gelungen war, Substanz zu gewinnen. Obwohl aus der Burg mannigfaltige Geräusche herüberwehten, hatte Andrej das Gefühl, von einer unheimlichen, lastenden Stille umgeben zu sein, die alles, was er hörte, auf sonderbare Weise unwirklich werden ließ, so dünn und zerbrechlich, als hätte es plötzlich einen Teil seiner Bedeutung verloren. Gleichzeitig schienen sich seine Sinne jedoch deutlich geschärft zu haben: Er hörte Stimmfetzen und raues Gelächter aus der Burg, das Prasseln von Feuer und etwas wie eine Melodie, die jemand ziemlich schlecht auf einer Laute spielte, die noch dazu verstimmt war. Aber er hörte auch die vielfältigen Geräusche des Waldes: das Flüstern des Windes in den Baumwipfeln, das Knacken der Zweige, das Rascheln der Tiere, die sich im Laub bewegten, irgendwo das Rufen eines Nachtvogels … Er war sicher, das er selbst das Rascheln der Ameisen und die leisen Grabgeräusche der Würmer unter der Erde gehört hätte, hätte er sich nur ausreichend darauf konzentriert. Es war unheimlich. Mehr noch: Es machte ihm Angst. Diese unheimliche Sinnesschärfe hatte begonnen, als die Sonne untergegangen war, und sie nahm weiter zu, je dunkler es wurde. Etwas von dieser Dunkelheit schien nun auch in ihm zu sein. Er war zu einem Geschöpf der Nacht geworden. Andrej schüttelte den Gedanken mit einiger Mühe ab und sah wieder zur Burg. Er hatte sich Waichs von der Rückseite her genähert und befand sich nun unweit der Stelle, zu der Tepesch sie vor zwei Tagen geführt hatte. Ganz kurz hatte er sogar daran gedacht, den verborgenen Einstieg zu suchen und Waichs auch diesmal durch den unterirdischen Gang zu betreten, sich dann aber dagegen entschieden. Er glaubte nicht daran, das Tepesch den Gang in eine Todesfalle verwandelt hatte, wie Abu Dun es anzunehmen schien. Für einen Mann wie Vlad Dracul war dieser Fluchttunnel viel zu wertvoll. Tepesch mußte nur die einfache Bewegung ausführen, die notwendig war, um einen Riegel vor-zulegen. Die Tür war massiv genug, um den Raum am Ende des Geheimganges in eine unentrinnbare Falle zu verwandeln. Es gab nur zwei Wege in die Burg hinein: Durch das Tor oder über die Mauer. Andrej hatte sich für den Weg über die Mauer entschieden; schon, weil es der eindeutig schwerere Weg war und niemand erwartete, das jemand auf diese Weise in die Festung eindrang. Die Mauern waren annähernd acht Meter hoch und vollkommen senkrecht. Früher einmal waren sie glatt verputzt gewesen, aber Waichs war alt; mehrere Generationen lang hatten der Wechsel der Jahres-zeiten und das räuberische Wetter Zeit gehabt, an ihren Mauern zu nagen. Andrej war ein guter

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