Der Vater des Attentäters (German Edition)
sie entwickeln sich durch gemeinsam Erlebtes, sind das Ergebnis von Töpfchentraining mal Kinderkrankheiten, von Nächten im selben Bett mal Aufgeschürfte-Knie-auf-dem-Spielplatz-Küssen. Es geht für die Kinder weniger um Wissen, sondern schlicht um Nähe. Ein typisches Beispiel dafür ist, dass ich wahrscheinlich schon zehn war, als mir zum ersten Mal der Gedanke kam, zu fragen, wohin mein Vater denn fahre, wenn er morgens das Haus verließ, um «zur Arbeit zu gehen».
Mein Vater war für mich vor allem eine Stimme (tief und klangvoll) und ein Geruch (nach Holz und Erde). Mein Vater war das Gefühl von Sicherheit, das sein Körper vermittelte, wenn er mich hochhob und ich die Arme um seinen Hals legte. Die Einzelheiten seines Lebens waren uninteressant. Er war eine Verlängerung meines Körpers, so wie ich eine Verlängerung seines Körpers war.
Ich verspürte diese Vertrautheit auch mit Alex und Wally, ihre laufenden Nasen waren meine laufenden Nasen. Ich putzte ihnen den Hintern ab, wie ich mir den eigenen abputzte. Durch die Jahre des Zusammenseins hatte ich den Rhythmus ihres Atems verinnerlicht und wusste genau, wie sie sich bewegten. So erkannte ich auch gleich, wenn etwas nicht stimmte.
Doch ein Junge, mit dem man weniger als dreißig Tage im Jahr verbracht hatte, war im Grunde kein Sohn. Nicht auf die gleiche Weise wie einer, den man jahrelang Abend für Abend ins Bett gebracht hatte. Es bestand nicht die gleiche innere Nähe, die Selbstverständlichkeit des Zusammenseins. Die einzige Gemeinsamkeit bestand in einer beiderseitigen Unbeholfenheit, in einer nur behaupteten Nähe. Das ist mir nie klarer geworden als auf diesem Ausflug.
«Es sieht so aus, als kämst du in der Schule gut mit», sagte ich, um das Thema zu wechseln. «Du gewöhnst dich ein. Gefällt es dir hier? Bei uns?»
Er zuckte mit den Schultern. Danny war nie ein besonders gesprächiges Kind gewesen, und fünfzehn war ohnehin das offizielle Alter mürrischen Schweigens. Vielleicht sparte er sich seine Ausdruckskraft für andere auf, dachte ich. Aber für wen? Für seine Altersgenossen? Für Lehrer?
«Sprichst du manchmal mit deiner Mom?», fragte ich. «Telefonierst du mit ihr?»
Noch ein Schulterzucken.
«Sie ist nicht gerade begeistert darüber, dass ich hier bin», sagte er. Es stimmte. Danny und Ellen hatten im letzten Jahr ein paar Zerwürfnisse gehabt – wegen Schuleschwänzen, Lügen, Abends-zu-lange-Wegbleiben, dem klassischen Dreiklang der Pubertät –, bis Ellen irgendwann geschrien hatte: «Wenn du es hier so hasst, dann versuch es doch bei deinem Vater», und sehr zu ihrer Überraschung hatte Danny zum Hörer gegriffen und mich angerufen.
An jenem Abend spielten wir gerade mit der Wii der Jungs Rockband, nachdem wir zuvor Lasagne gegessen hatten. Ich saß mit meiner Frau da, hielt ihre Hand, und wir sahen zu, wie meine Söhne vor dem Fernseher herumsprangen. Es war einer jener kostbaren «Das-Leben-ist-gut»-Momente. Ich war fünfundvierzig Jahre alt, und es hatte mich all die Zeit gekostet, das perfekte Gleichgewicht zwischen Arbeit und Familie zu finden, zwischen Anspannung und Ruhe. Ich hatte das Gefühl, es endlich geschafft zu haben. Und dann klingelte das Telefon.
«Es ist Danny», sagte Fran und kam mit dem Telefon aus der Küche.
«Hallo, Kumpel», sagte ich. «Was gibt’s?»
Er verkündete, er habe genug von seiner Mom und dass er für eine Weile bei mir leben wolle. Ich sah Fran und die Kinder an, unsere geheiligte Familie, friedlich in ihrem Heim. Verspürte ich in dem Moment Zweifel? Einen Widerwillen? Ich müsste lügen, wollte ich es abstreiten. Wir bildeten eine harmonische Einheit, befanden uns im Einklang miteinander, und wenn Danny einzog, würde es eine völlig neue Dynamik geben, eine neue Konstellation. Und doch empfand ich auch Gewissensbisse, als ich seine Stimme am Telefon hörte. Er war mein Sohn, der Junge, den ich zurückgelassen hatte, und ich wollte, dass ihm etwas von dem zuteil wurde, wonach ich fünfundvierzig Jahre lang gesucht hatte. Zufriedenheit und Glück.
«Kein Problem», hatte ich gesagt. «Wir möchten dich hier bei uns haben. Ich kaufe dir gleich morgen früh ein Ticket.»
Jetzt betrachtete ich meinen erstgeborenen Sohn, als wir unser Zelt im waldigen Hinterland New Yorks aufbauten. Er war ein Spätentwickler und hatte die Ein-Meter-Fünfzig-Marke erst mit dreizehn durchbrochen. Sein Haar war kurz wie das eines Marines und hob die Ohren hervor. Er hatte tiefliegende Augen
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