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Der Vater des Attentäters (German Edition)

Der Vater des Attentäters (German Edition)

Titel: Der Vater des Attentäters (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noah Hawley
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und elegante lange Wimpern. Wenn er sich selbst überlassen war, las er Bücher über Entdecker und Expeditionen. Er war kein Ass in Mathematik, aber er wusste, wie viele von Ernest Shackletons Mannschaft die achtzehnmonatige Odyssee überlebt hatten, nachdem ihr Schiff, die Endurance , im Treibeis stecken geblieben war (nämlich alle achtundzwanzig).
    Danny mochte Geschichten von unerschrockenen Bergsteigern, von einsamen Entdeckern, die in Dschungel aufbrachen, aus denen sie nie zurückkehrten. Er war, so schien es, ein Sammler von Einzelgänger-Geschichten. In der Rückschau scheint klar, dass er bereits als Jugendlicher im Leben dieser Menschen etwas fand, mit dem er sich identifizieren konnte, jenen Impuls, allein loszuziehen und nach unentdecktem Terrain zu suchen. Bezeichnend für diese Abenteurer ist, dass sie für ihre Kinder und Frauen oft Fremde waren. Jahrelang waren sie unterwegs und kamen nur nach Hause, um Geld für eine neue Expedition zu sammeln. Sie zogen die Kameradschaft der Entdecker allen Familienbanden vor.
    Daniel war, wie es schien, am klassischen Familienleben ebenfalls nicht interessiert. Seit Alex und Wally zwei Jahre alt waren, hatten Fran und ich das gemeinsame Abendessen zur Regel gemacht, da wir glaubten, es sei wichtig, dass eine Familie wenigstens einmal am Tag zusammensitze. Daniel verpasste in dem Jahr, in dem er bei uns war, wenigstens drei Abendessen pro Woche. Er fand immer eine Ausrede: Er habe sich in der Schule in eine Freizeitgruppe eingetragen. Er sei einer Band beigetreten. Und manchmal war er zu Hause, kam aber einfach nicht nach unten.
    Das war eines der Themen, die ich ihm gegenüber ansprechen wollte, als wir uns nun etwas zu essen machten und das letzte Sonnenlicht verblasste. Am Abend zuvor hatte ich Lammkoteletts in eine Rosmarin-Limetten-Marinade eingelegt. Dazu gab es rote Bohnen aus der Dose, die wir über dem prasselnden Lagerfeuer kochten.
    «Schön hier», sagte ich.
    Er nickte.
    «Ich bin mit meinem Dad, bevor er starb, oft zelten gegangen», erklärte ich ihm.
    Er schien darüber nachzudenken. «Ein Lehrer von mir ist im letzten Jahr gestorben», sagte er. «Es ging das Gerücht, er habe AIDS , aber ich glaube, es war eine Lungenentzündung. Er war ziemlich alt.»
    «Was hast du da empfunden?», fragte ich.
    Er zuckte mit den Schultern. «Ich mochte ihn gern, aber es war so unwirklich. Gerade war er noch da gewesen, und zack war da eine Frau mit einem großen Schuh und übernahm die Klasse. Es war fast so, als hätten sie ihn hinausgeworfen.»
    «Mit einem großen Schuh?», fragte ich nach.
    «Na ja», sagte er, «bei ihr war ein Bein länger als das andere, deshalb hatte sie diesen Schuh.»
    Ich überlegte, ob ich den Tod seines Lehrers zum Anlass nehmen sollte, mit ihm über die biologischen Zusammenhänge des Sterbens zu sprechen – was mit dem Körper geschieht, wie er aussieht und wie er riecht –, aber ich entschied mich dagegen. Der Gedanke an den Tod und seine Unausweichlichkeit kann sehr belastend sein, und ich wollte ihn davor bewahren, so lange es ging.
    Ich fragte ihn, ob er sich noch an die Unternehmungen erinnere, die wir gemacht hätten, als er klein und seine Mutter und ich noch verheiratet gewesen seien.
    «Erinnerst du dich noch an Venice Beach? An die Promenade?», fragte ich.
    Er schüttelte den Kopf.
    «Jeden Samstagmorgen haben wir dich mit dorthin genommen und am Strand gefrühstückt. Es hat dir solchen Spaß gemacht, durch den Sand zu rennen. Da warst du drei, vielleicht vier.»
    «Wirklich?», sagte er und fügte hinzu, dass er heute Strände hasse. «Ich mag das Meer nicht», sagte er. «Weil es nie aufhört, das Rauschen.»
    «Und sonst? Was magst du noch nicht?», fragte ich ihn.
    Er überlegte. «Küchenmixer», sagte er, «und Pferde. Pferde sind mir nicht geheuer. Und Blumen. Die Art, wie Schnittblumen riechen, das Wasser, wenn man sie zu lange in der Vase lässt.»
    «Das ist die Fäulnis», sagte ich.
    «Ja. Oder die Zähne der Leute, wenn sie schlecht sind. Solche, wie sie Hexen in Filmen haben, da muss ich ausschalten. Da würde ich mir am liebsten die eigenen Zähne ausschlagen, bei dem Gedanken an all die Grabsteine in meinem Mund.»
    Ich drehte die Koteletts über dem Feuer. Fett tropfte in die Flammen und ließ sie tanzen. «Und was magst du?», fragte ich.
    «Ich mag, wenn’s schneit», sagte er, «und alles gedämpft klingt, und wenn man durch den Schnee geht und er so knirscht. Wie sich das anfühlt, und dass man

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