Der Vater des Attentäters (German Edition)
Entscheidung, sondern einer Krankheit war? Konnte ihn das auch dazu bringen, einen Mord zu begehen?
Ich saß im Wohnzimmer und sah alte Fotoalben durch, als Fran nach unten kam. Sie trug ein T-Shirt, das ihr kaum bis zu den Schenkeln reichte.
«Wie viel Uhr ist es?», fragte sie.
«Spät», sagte ich.
Sie trat ans Fenster und linste durch die Jalousie. Das Hemd hob sich noch etwas mehr und zeigte ihre runden Pobacken. «Die sitzen da wie die Geier», sagte sie.
«Hübscher Hintern.»
Sie drehte sich um und zog das Hemd herunter. Nicht ein Muskel bewegte sich in ihrem Gesicht, aber ich sah das Lächeln in ihren Augen. «Was machst du noch hier», sagte sie. «Komm zurück ins Bett.»
Ich schüttelte den Kopf. «In einer Stunde müssen wir sowieso aufstehen.»
Sie kam zu mir, nahm das Fotoalbum und setzte sich damit aufs Sofa. Sie legte sich ein Kissen auf den Schoß, um ihre Blöße zu bedecken, und begann zu blättern.
«Es ist immer so merkwürdig für mich, sie zu sehen», sagte sie. «Deine Exfrau, meine ich. Es ist, als gäbe es da so eine Art Super-Schurken. Meine Erzfeindin. Ich sehe dich an und denke, wie konntest du dich je auf so eine Frau einlassen?»
«So eine Frau?»
«Die so unstet ist, so untreu und verrückt.»
«Damals schien es mir eine gute Idee.»
Sie legte die Füße auf den Couchtisch. «Manchmal denke ich, es wäre besser, man dürfte sich seinen Ehepartner nicht selbst auszusuchen. Meine Schwester lässt sich mit niemandem ein, der nicht polizeibekannt ist oder Foltergeräte im Keller hat. Mein Vater ist jetzt zum sechsten Mal verheiratet. Sechs Frauen. ‹Warum heiratest du immer wieder?› habe ich ihn gefragt. ‹Was soll ich sagen›, war seine Antwort, ‹ich bin eben Optimist.›»
Ich streckte die Hand aus und strich ihr übers Haar. Meine Ehe mit Ellen hatte vor dreizehn Jahren ihr Ende gefunden. Das schien so lange zurückzuliegen wie meine Facharztausbildung und kam mir vor wie ein Film, den ich vor langer Zeit ein paarmal gesehen hatte, einer, an den ich mich gut erinnerte, den ich aber kaum noch mit mir selbst in Verbindung brachte.
«Sie war eine gute Mutter», sagte ich und formulierte es gleich noch einmal neu: «Sie hat getan, was sie konnte.»
Fran blätterte durch das Album. Ich rückte näher zu ihr, und sie legte den Kopf auf meine Schulter.
Der Blick auf die Fotos meiner Familie rief widersprüchliche Gefühle in mir hervor, Wut und Angst brandeten kurzfristig auf. Das ist es, was bleibt, die extremen Momente, die Kämpfe, die sich in die Seele brennen. Zehn Jahre später ist es einfacher, sich an den Augenblick des Unfalls zu erinnern als an die langen Stunden Fahrt vorher.
Aber ich wollte nicht die Schuld an allem Ellen zuschieben, ich wollte die Frau, die meinen Sohn ab einem bestimmten Moment allein großgezogen hatte, nicht dämonisieren. Obwohl ich grundsätzliche Probleme mit ihrer Persönlichkeit und ihrer Lebensweise hatte, war mir klar, dass meine Meinung über sie als Mutter eben nur eine Meinung war, ein Blick von außen. Wichtig war, dass sie Daniel geliebt hatte und es immer noch tat. Auch wenn ihre Liebe vielleicht zuweilen erdrückend war – es war die Liebe einer auf sich gestellten Frau, deren Sohn dazu gezwungen war, viel zu jung der Mann im Haus zu werden.
Aber auch das war nur einer der vielen Faktoren, die Daniel zu dem gemacht hatten, der er war. Schließlich hatte er das College nicht abgebrochen, weil seine Mutter ihn zu sehr liebte, genauso wenig, wie er fünfzehn Monate lang in seinem Auto gelebt hatte, nur weil sein Vater nach New York gezogen war, als er gerade mal sieben Jahre alt war.
Fran nahm meine Hand. « Du bist ein guter Vater», sagte sie.
Ich wollte, dass das stimmte. Ich legte den Kopf zurück aufs Sofa. «Als Alex und Wally klein waren, haben wir uns immer an einen Zeitplan gehalten», sagte ich. «Um halb acht ins Bett, egal, was war. Vormittags und nachmittags ein Schläfchen. Danny dagegen war von klein auf ein Nomade, er war nachts wach und hat tagsüber geschlafen. Es war ein ziemliches Durcheinander.»
«Denkst du, das hat ihn geprägt?»
«Es ist schwer zu sagen. Jedenfalls hat er schon früh mitgekriegt, dass er sich auf nichts verlassen konnte. Weder was die Schlafenszeiten noch was die Essenszeiten anging. Auch auf seine Eltern nicht. Ständig hat sich etwas geändert. Es war klar, dass das nicht so weitergehen konnte. Ich glaube, als es zur Scheidung kam, hätte Ellen gerne gehabt, dass ich das
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