Der Vater des Attentäters (German Edition)
wusste nicht, wie man mit Mädchen redete, und starrte das Telefon anderthalb Stunden lang an, bevor er die Nummer wählte. Iris war so schön, dass es ihn unbeholfen machte. Jodie. Sie hieß Jodie. Sie nahm ab, und der Ton ihrer Stimme war warm und offen. «Hast du meine Briefe bekommen?», fragte er. Sie klang verschämt und ein wenig kokett. Das brachte ihn aus der Fassung. Er sagte, er sei nicht gefährlich. Warum sagte er das?
Es war ein Wahljahr. Hinckley sah Jimmy Carter im Fernsehen und war von ihm fasziniert. Der Präsident hatte so mächtige Zähne, riesig, beeindruckend. Hinckley ging zur Bank und hob dreihundert Dollar von seinem Konto ab. Er besorgte sich ein Flugticket nach Washington, D.C. In D.C. kaufte er ein Ticket nach Columbus, Ohio. Er folgte dem Präsidenten von einer Station seiner Wahlkampftour zur nächsten.
Er schrieb ein Gedicht, das er mit Waffen sind toll betitelte.
Siehst du die lebende Legende dort?
Mit einem leichten Druck auf den Abzug
kann ich den Mann zu Boden strecken,
dass er jammert und klagt und Gott anfleht.
Diese Waffe gibt mir eine geile Macht.
Wenn ich will, wird der Präsident fallen
und die Welt sieht mich ungläubig an,
und das alles wegen einer billigen Waffe.
Waffen sind schön, Waffen sind toll.
Hast du das Glück, auch eine zu besitzen?
In der amerikanischen Botschaft in Teheran wurden zu diesem Zeitpunkt zweiundfünfzig US -Diplomaten als Geiseln festgehalten. Hinckley saß auf einem Fensterplatz und flog von Columbus nach Dayton. In seinem Kopf schrieb er Briefe an Jodie. Im Film seines Lebens war er der Held, der am Ende das Mädchen bekam. In seiner Vorstellung war bereits klar, wie es ablaufen würde. Er würde zum Präsidenten gehen und ihm die Hand schütteln. In seiner anderen Hand würde er die Waffe halten. Jeder Schuss, den er abfeuerte, war ein Engel mehr, der im Himmel neben ihm sitzen würde.
Das Videomaterial von der Wahlkampfveranstaltung in Dayton sollte Hinckley später weniger als acht Meter von Präsident Carter entfernt zeigen.
Auf der Leinwand sagt Travis zu Betsy: «Ich sollte so eine Plakette tragen, auf der steht: ‹Eines Tages werde ich organsiziert.›»
Betsy: «Sie meinen ‹organisiert›?»
Bickle: « ‹Organsiziert.› Es ist ein Ulk. ‹O-r-g-a-n-siziert.›»
Betsy: «Oh, Sie meinen, Sie lieben Organe. Das ist, wie auf manchen Schildern steht: ‹Erst denken, dann sprechen.›»
Am 6. Oktober wurde Hinckley in Nashville, Tennessee, von der Flughafenpolizei festgenommen, nachdem die Packer Pistolen in seinem Gepäck gefunden hatten. Die Pistolen wurden konfisziert, und Hinckley musste eine Strafe von 62,50 Dollar zahlen. Er flog nach Dallas und kaufte sich neue Pistolen.
Am 20. Oktober kehrte Hinckley zu seinen Eltern zurück. Er hatte so ein Gefühl im Bauch, als drehte sich die Welt schneller als er selbst. Er hatte emotionale Ausbrüche, die er nicht zu kontrollieren vermochte, und manchmal war die Sonne so hell, dass er im Haus bleiben musste. Eines Abends schüttete er sich die blauen Pillen in die Hand und vermischte sie mit den gelben. Er kam im Krankenhaus wieder zu sich. Weil seine Eltern darauf bestanden, ging er zu einem Psychiater.
Der Psychiater hielt Hinckley einfach nur für emotional unreif. Er drängte Hinckleys Eltern, ihren Sohn finanziell nicht mehr zu unterstützen.
Am 4. November 1980 wurde Ronald Reagan zum vierzigsten Präsidenten der Vereinigten Staaten gewählt. Er gewann die Stimmen von 489 Wahlmännern aus 44 Staaten, während Jimmy Carter nur 49 bekam.
Im Dezember flog Hinckley nach New York City. Es war die Stadt von Travis Bickle, von Kinderprostituierten und Blut in den Straßen. An Silvester überlegte er, ob er sich vor dem Dakota Building umbringen sollte, an genau der Stelle, wo John Lennon kurz zuvor von Mark David Chapman niedergeschossen worden war. Es gab sie überall, wie es schien, diese entfremdeten jungen Leute mit ihren nervösen Abzugsfingern. Hinckley stand stundenlang dort und sah hinauf zu den hell erleuchteten Fenstern. Weggeworfene Weihnachtsbäume lagen auf dem Bürgersteig. Er trug nur eine dünne Jacke, und als ihm zu kalt wurde, ging er zurück ins Hotel.
An diesem Abend sprach Hinckley auf seinen Kassettenrecorder:
«John Lennon ist tot», sagte er. «Die Welt ist am Ende. Du kannst alles vergessen. Es wird nur noch der Irrsinn, selbst wenn ich es durch die ersten paar Tage schaffe … Ich bedaure es immer noch, mit 1981 weitermachen zu müssen … Ich
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