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Der Vater des Attentäters (German Edition)

Der Vater des Attentäters (German Edition)

Titel: Der Vater des Attentäters (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noah Hawley
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in den Bäumen hingen Bierdosen, und drinnen sah es aus wie in einem Müllmuseum. Über die Jahre war das Haus von einer Studentengeneration an die nächste weitergegeben worden, ohne dass es je völlig neu übernommen wurde. Die Jungs zogen für ein Semester ein, stapelten ihre Bierdosen auf den Fensterbänken, vergaßen, die Toilette zu putzen, und trugen zum ständig wachsenden University-of-Texas-Unterwäsche-Ehrenmal bei, das jemand im Wohnzimmer angelegt hatte. Und dann zogen sie wieder aus. Der Mietvertrag lautete noch auf den Namen eines Studenten, der zu Reagans Zeiten hier seinen Abschluss gemacht hatte. Es war wie die Zeitrafferaufnahme eines Flusses, der ein Tal in einen Fels höhlte. Die Schweinerei war inzwischen von archäologischem Interesse. Wer tief genug grub, fand womöglich ein halb gegessenes Sandwich aus der Zeit, als Elvis noch der King gewesen war.
    Dannys Zimmer lag im ersten Stock und ging auf die Rio Grande Street hinaus. Das Haus gegenüber wurde von Studentinnen bewohnt, die ebenfalls einer Verbindung angehörten, und die Jungs lagen abwechselnd mit Ferngläsern auf dem Dach und hofften, einen Blick auf eine Premium-Texasmöse zu erhaschen. Danny saß in seinem Zimmer, hörte Radio und hatte das Fenster weit offen. Es war sehr schwül in Austin, an den Decken hingen große Ventilatoren, und nachmittags gingen regelmäßig Gewitter auf die Stadt nieder.
    Seine Mitbewohner sagten zu ihm Kumpel oder Boss , Bruder oder Jefe . Einer nannte ihn Albert . Das war einfacher, als sich seinen Namen zu merken. Wie alle anderen vor ihm würde auch Danny nur eine Zeit lang in Nr. 1614 bleiben, dann würde er wieder verschwinden und nichts als eine ausgeleierte Unterhose auf dem Wäschehaufen hinterlassen. Er war nur einer von vielen, die stehend in die Toilette pinkelten und ihre Zahnbürste in einem dreckigen Becher parkten.
    Um ihn herum ging alles seinen gewohnten Gang. Austin war eine dynamisch wachsende Stadt mit fast einer Million Einwohner, darunter sehr viele Musiker, die der Stadt einen Soundtrack gaben. In Supermärkten, auf dem Flughafen, überall spielten Bands. Pekannussbäume säumten die Straßen, Lebenseichen und Platanen. Die Stadt lag an einer weiten Biegung des Colorado River, und ein großer Teil dessen, was in ihr geschah, hatte mit Wasser zu tun. Auf dem Lady Bird Lake wurde Kanu gefahren, im Barton Springs Pool geschwommen. Überall gab es Parks, Wasserläufe und junge Männer mit Baseballkappen, die Frolf spielten, eine Mischung aus Frisbee und Golf. Wer in dieser Stadt nicht Fahrrad fuhr, schwamm, joggte oder wanderte – so erfuhr Danny –, mit dem stimmte etwas nicht.
    Danny kreuzte mit seinem billigen, gebrauchten Rad durch die Stadt und stellte fest, dass alles in Texas entweder mit der Aufschrift «Texas» versehen war oder die Form von Texas hatte, ganz gleich, ob es sich um Platzdeckchen, Straßenschilder oder Sicherheitstore handelte. Es war, als fürchteten die Menschen hier, sie könnten in New Jersey aufwachen, wenn sie sich nicht mit ausreichend Gedächtnisstützen umgaben.
    In Austin wurde Danny erstmals auf Jay Seagram aufmerksam. Es war der 20. August, ein Donnerstag. Die erste demokratische Vorwahl würde erst in fünf Monaten stattfinden, aber die Politiker tourten bereits durchs Land, traten in Morning Shows auf, hielten die üblichen Standardreden und bildeten sogenannte Sondierungskomitees. Danny war mit seinem Fahrrad auf dem Lady Bird Lake Trail unterwegs, als er das erste Plakat sah. Er hielt inne, rollte im Leerlauf weiter und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Irgendwo vor sich konnte er die Geräusche einer größeren Menschenansammlung hören, und als er an der First Street Bridge vorbeikam, sah er einen Pulk politisch Interessierter auf der großen Rasenfläche des Auditorium-Shores-Park. Auf dem Podest verkündete ein Mann gerade, es sei Zeit für einen Wechsel. Die Sonne glitzerte auf dem Fluss. Eine leichte Brise wehte von Westen heran. In der letzten Nacht hatte es endlich die Schwüle davongeblasen, und die Luft fühlte sich an, als sei alles möglich.
    Danny ließ sein Rad am Tor stehen und streifte durch die Menge. Junge Frauen in Shorts und Bikinioberteilen saßen auf Handtüchern und sahen zum Podium hinüber. Hunde liefen unangeleint umher, und Kinder spielten Frisbee.
    «Ich bin es leid», sagte Senator Jay Seagram. Er hielt das Mikrofon locker vor sich hin und sprach ohne Manuskript. «Ich bin es leid, mir Ausreden dafür

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