Der Vater des Attentäters (German Edition)
freigelassen wird, solltest du nicht überrascht sein, wenn er sich bei der erstbesten Gelegenheit, die sich ihm bietet, wieder davonmacht. Ich will dich nur vor weiterem Schmerz bewahren.»
Sie hob die Hand und strich mir über die Wange. Ich schloss die Augen. Was für ein Mann wäre ich, wenn ich die Verantwortung für meine Fehler nicht übernähme? Wenn ich nicht versuchen würde, sie wiedergutzumachen? Das war der Eid, den ich abgelegt hatte: Füge niemandem Schaden zu . Allerdings schadeten Ärzte ihren Patienten ständig. Wir stellten falsche Diagnosen und veranlassten falsche Therapien. Wir verpfuschten Operationen und hörten nicht richtig zu, wenn Patienten von ihren Beschwerden sprachen. Wir schlossen Versicherungen ab, engagierten Anwälte und versteckten uns hinter der Krankenhausverwaltung. Wir saßen in unseren Meetings und sprachen über unsere Fehler, um aus ihnen zu lernen, wurden aber kaum einmal bestraft. Und wenn wir für die Folgen unserer Fehler nicht einzustehen hatten, warum sollten wir dann aus ihnen lernen wollen? Auf der Universität hatte man uns beigebracht, eine professionelle Distanz zu unseren Patienten zu wahren. Wir sollten die Krankheit sehen, nicht den Menschen.
Das Leben selbst aber funktionierte nicht so.
Mitten in der Nacht klingelte das Telefon. Ich tastete danach und versuchte den Hörer abzunehmen, bevor die Kinder aufwachten.
«Hallo?»
«Ich bin’s, Murray. Hören Sie, ich habe nicht viel Zeit. Ich habe meinen Bekannten beim FBI nach Carlos Peña befragt. Das ist eine Sackgasse.»
Ich setzte mich auf und sah zu Fran hinüber. Sie schlief noch.
«Was?»
«Sie haben ein Video von ihm in Royce Hall, vom iPhone irgendeines Studenten, während der gesamten Veranstaltung. Peña stand zwischen den Leuten im Parkett, hat keine Pistole gezogen und ist nicht mal in Dannys Nähe gekommen. Er kann unmöglich der Schütze gewesen sein. Die Schüsse kamen von der verdammten anderen Seite des Raumes.»
Das erdrückende Gewicht dieser Sätze ließ mich zurück ins Kissen sinken. Mir wurde bewusst, wie sehr ich mich mit meinen Hoffnungen an eine letztlich weit hergeholte Vermutung geklammert hatte.
«Sind Sie sicher?»
«Völlig», sagte Murray. «Carlos Peña bringt uns nicht weiter. Aber passen Sie auf: Ich habe einen Detektiv nach Sacramento geschickt. Sie erinnern sich, dass der Secret Service Danny identifiziert hat, weil er bereits einmal in Kalifornien verhaftet wurde.»
«Ja, wegen Landstreicherei», sagte ich.
«Genauer gesagt», fuhr Murray fort, «weil er als blinder Passagier in einem Güterzug erwischt wurde. Wie einer dieser bekloppten Hobos, dieser Typen, die in einem offenen Güterwaggon durchs ganze Land ziehen. Das ist die Geschichte Amerikas. Aber die Eisenbahngesellschaften mögen es nicht, weil es ihnen Probleme mit der Versicherung bereitet.»
«Es ist drei Uhr morgens, Murray.»
«Wie sich jetzt aber herausstellt, war Danny nicht allein in dem Zug. Da waren noch zwei andere Typen mit ihm zusammen im Waggon.»
Ich spürte es in meinem Magen pochen. War das die Hoffnung oder Angst?
«Was für Typen?», fragte ich.
«Da wird’s interessant. Beides ehemalige Soldaten. Einer war in Afghanistan, der andere im Irak. Der ist seit etwa zwei Jahren da raus.»
«Na gut, dann ist er halt mit zwei Exsoldaten Zug gefahren. Das ist nichts Besonderes. Nach Vietnam lebten viele von den Jungs praktisch in Zügen.»
«Yeah, nur dass einer von diesen beiden hier hinterher bei KBR angefangen hat.»
«Dem Militärdienstleister?»
«Ich musste etwas tiefer graben, um es herauszubekommen. Er arbeitet schwarz für das Unternehmen, bekommt sein Gehalt monatlich per Scheck. Hoopler heißt der Bursche. Im letzten Jahr hat er ein Haus gekauft, und er besitzt ein Rennboot, fünf Meter lang. Da fragt man sich doch, woher so ein Landser so viel Geld hat?»
Ich nahm das Telefon mit ins Bad und versuchte meinen Herzschlag zu beruhigen. Erst Peña und jetzt das hier. War es möglich, dass ich die ganze Zeit Recht gehabt hatte? Dass mein Sohn wirklich unschuldig war?
«Sind Sie sicher, dass er für KBR arbeitet?»
«Ich warte noch auf ein paar Belege dafür, aber mein Kontaktmann hat die Zahlungen für Hooplers Haus zu einer Briefkastenfirma zurückverfolgt, die Duncan Brooks als Vorstandsmitglied listet. Duncan Brooks ist einer der Vizepräsidenten von KBR .»
Ich saß auf dem Toilettendeckel und presste meine Füße auf die kalten Kacheln. In der Luft hing immer noch
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