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Der Vater des Attentäters (German Edition)

Der Vater des Attentäters (German Edition)

Titel: Der Vater des Attentäters (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noah Hawley
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was sie tun.»
    Er schob den Roman auf sein Notizbuch, um ihr zu zeigen, dass er ihn ausleihen wollte.
    «Das kann ich gut gebrauchen», sagte er. «Zu verstehen, warum die Menschen so handeln, wie sie handeln.»
    «Und mit ‹die Menschen› meinst du Frauen, richtig?», sagte sie und lachte.
    Er wusste, er hätte auch lachen sollen, aber der Moment lastete so schwer auf ihm, seine Bedeutung für die Zukunft, dass er ernst blieb. Er fragte: «Macht Gogol das auch? Die Gedanken der Menschen lesen?»
    «Nein», sagte sie, «der war eher ein Satiriker.»
    «Woher weißt du so viel darüber?», fragte er.
    «Ich studiere im Hauptfach Literatur», erklärte sie ihm, «und die Russen mag ich am liebsten. Wegen ihrer Leidenschaftlichkeit.»
    Er überlegte, ob er etwas Witziges sagen sollte, etwas, das seine Mitbewohner sagen würden: Das denke ich mir, oder: Nun, wenn du Leidenschaft magst … aber es erschien ihm völlig daneben. So was sagt man nur im Film. So viele Momente im Leben fühlten sich sowieso schon falsch an, und er fragte sich, wann das mit der Echtheit aufgehört hatte und wann die Menschen begonnen hatten, nur noch Floskeln aus Filmen wiederzukäuen: das «süße Girl von nebenan», der «Wettlauf gegen die Zeit», der «große Showdown». Es war längst so weit, dass man sich gedrängt fühlte, für jede Situation einen schlagfertigen Spruch parat zu haben, wie ihn sich ein Drehbuchschreiber ausdenken würde, statt zu sagen, was man wirklich dachte. Er war sicher, dass Dostojewskis Russen nicht so gelebt hatten, und auch die Engländer zur Zeit von Dickens nicht. Wann hatte es angefangen? In den Fünfzigern vielleicht. Als alle versuchten, Humphrey Bogart oder Gary Cooper nachzueifern.
    Vor sechs Tagen war er in einen Waffenladen an der South Congress Avenue gegangen. In seinen Fingerspitzen hatte es gekribbelt, wie ein feines Nervenzittern. Beim Eintreten erklang eine winzige silberne Glocke, das harte Sonnenlicht hinter ihm machte den Laden zu einer dunklen Höhle, und das Läuten der Glocke löste etwas ihn aus, eine Art Vorahnung. Seine Augen brauchten einen Moment, um sich an die Lichtverhältnisse zu gewöhnen und die Umrisse an den Wänden zu identifizieren: Gewehre und Flinten. Hinter der Theke saßen ein bärtiger Mann und eine Frau mittleren Alters. Hinter ihnen an der Wand hingen verblichene Zielscheiben. Der Bärtige hatte ein Italian Sandwich vor sich auf dem Glas der Theke liegen, das Papier, in dem es eingeschlagen gewesen war, wirkte wie ein Stern darunter, und auf der Vitrine mit den Pistolen lagen überall Krümel verstreut. Die Frau sah sich in einem kleinen Schwarzweiß-Fernseher irgendein Melodram an.
    Der Boden war mit Linoleum belegt, die Holzvertäfelung der Wände ausgeblichen. Daniel war in Küstenstädten aufgewachsen, in denen Waffen verpönt waren, und so verwunderte es ihn, wie normal der Laden wirkte, geradezu bieder, als wäre der Kauf einer Waffe nichts anderes als der von Schneeketten oder einer Spachtelmasse für die Wand. Hier gab es keinerlei schmückendes Beiwerk, keine Marketing-Mätzchen, wie sie einen beispielsweise in Fernseher-Läden umgaben, keine unzähligen Bildschirme mit gleißenden, halluzinogenen Actionszenen aus den Blockbustern des Sommers, die Begeisterung! schrien . Während er dastand und sich umsah, begriff er, dass es in diesem Land Orte gab, an denen eine Waffe ein normales Werkzeug war, wie eine Harke oder eine Schaufel, nichts als ein paar Gramm Metall und Öl. Gefährlich, klar, aber das traf auch auf eine Kettensäge zu. Oder den Rohrreiniger, mit dem man den Abfluss säuberte und den nichts von dem Mythos umgab, der, ob nun auf Cocktailpartys auf der Upper West Side oder bei stargesättigten Wohltätigkeitsveranstaltungen in Beverly Hills, Waffen zugeschrieben wurde. So stand Danny hier also inmitten einer Achtzig-Quadratmeter-Langeweile und suchte nach einem Werkzeug, von dem er nicht wusste, ob er es brauchte, um eine Aufgabe auszuführen, die er erst noch definieren musste.
    Die Frau wandte sich von ihrem Film ab, als er näher trat. Sie begrüßte ihn fröhlich und fragte, ob sie ihm irgendwie helfen könne. Er antwortete, er überlege, sich eine Waffe zu kaufen, seine erste. Sie fragte, ob er an ein Gewehr oder eine Pistole denke. Eine Pistole, antwortete er. Eine Waffe, die man in einer Hand halten könne. Er versuchte beiläufig zu klingen. Wie ein Schreiner, der einen Hammer kaufte, eine Hausfrau, die ihren Vorrat an Spülmittel

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