Der verbannte Highlander
war zu gut im Lesen von Spuren, um sich täuschen zu lassen. Doch sobald sie erst einmal in den Bergen waren, würde es nicht mehr so einfach werden.
Innerhalb von fünf Minuten, nachdem er ins Lager zurückgekommen war, brachen sie auf. Er trieb sie zu einem harten Tempo – wenn sie auch nicht gerade liefen, dann war es auch kein Gehen mehr. Er wollte so viel Abstand wie möglich zwischen sie und Gregor bringen, bevor die Nacht hereinbrach. Mit etwas Glück würden sie eine kalte Nacht in den Bergen verbringen und am nächsten Abend vor der Dämmerung in Balquhidder sein.
Die Wälder wichen bald offenerem Gelände. Sie folgten dem Fuß des Binnein nördlich zum höher gelegenen Berg Meall Reamhar. Während sie weiter hinaufstiegen, machten Farne, Heidekraut und Gras felsigeren Wegen Platz und Patrick fiel es leichter, ihre Spuren zu verwischen.
Nicht nur, dass er unablässig die Landschaft hinter ihnen beobachtete, er behielt auch Lizzie stets im Auge und verlangsamte das Tempo immer wieder, um sie zu Atem kommen
zu lassen. Erst als sie den Hügel erklommen hatte, hielt er an. Vor ihnen erstreckte sich von Osten nach Westen ein Panorama aus leuchtend braunen Hügelkuppen – nur gelegentlich unterbrochen durch einen flüchtigen Blick auf einen Loch oder ein kleines Stück Wald, die sich in die tiefen Bergkessel schmiegten.
Neben ihm gab Lizzie einen Laut von sich, der ein Seufzen hätte sein können, wenn sie nicht so außer Atem gewesen wäre. »Es ist überwältigend.« Ihre Blicke trafen sich. »Hügel, soweit das Auge reicht.« Sie biss sich auf die Lippe. »Bist du sicher … hier könnte man sich sehr leicht verlaufen.«
»Wir werden uns nicht verlaufen.«
»Wie kannst du dir da so sicher sein?«
»Das hier ist MacGregor-Land. Ich bin in diesen Hügeln aufgewachsen.«
Sie errötete. »Natürlich. Daran habe ich nicht gedacht. Ist dein Zuhause hier irgendwo in der Nähe?«
Sein Blick wurde hart, denn ihre unschuldige Frage hatte einen Nerv getroffen. »Welches Zuhause? Ich hatte kein Zuhause mehr, seit ich ein kleiner Junge war.«
»Das tut mir leid, ich …«
»Wir haben uns schon lange genug aufgehalten.« Er wandte ihr den Rücken zu und fing an, den Hügel hinabzusteigen. Er brauchte ihr Mitgefühl nicht.
Sie wanderten stundenlang. Er trieb sie so hart voran, wie er es riskieren konnte, ohne dass sie zusammenbrach. Dasselbe konnte man von ihm selbst nicht behaupten. Jeder Schritt verursachte eine Explosion so fürchterlicher Schmerzen, dass er nicht wusste, wie lange er es noch aushalten konnte. Stählerne Entschlossenheit und das Wissen, dass sein Leben nicht das einzige war, das auf dem Spiel stand, trieben ihn vorwärts.
Einmal glaubte er, Gestalten gesehen zu haben, die einen Hügel in der Ferne hinter ihnen erklommen. Doch wie es in diesen Bergen oft vorkam, erwiesen sich die Wolken als ausgezeichnete
Deckung, denn sie senkten sich wie ein Vorhang herab, um sie vor Blicken zu verbergen und seinen Bruder noch stärker daran zu hindern, ihren Spuren zu folgen.
Doch es war nicht nur sein Bruder, um den sie sich Sorgen machen mussten.
Im Laufe des Tages machten die tief hängenden, einst freundlichen Wolken eine unheilvolle Veränderung durch. Sie verdichteten sich und wurden schwer und dunkel. Das Wetter in diesen Bergen war unbeständig wie Quecksilber und wechselte ohne Vorwarnung. Aber nicht nur die Aussicht auf Regen beunruhigte ihn. Es war der plötzliche Temperatursturz – der für die Jahreszeit ungewöhnlich plötzliche Temperatursturz.
So hoch in den Bergen, ohne nennenswerten Schutz, drang die Kälte bis in die Knochen. Mit dem Plaid, das sie um sich geschlungen hatte, und den schweren, wollenen Röcken war Lizzie besser geschützt als er, der nur Hemd und Lederwams trug, doch keiner von ihnen konnte lange hier draußen bleiben und sie waren immer noch ein gutes Stück von dem Ort entfernt, an dem er gehofft hatte, Unterschlupf für die Nacht zu finden.
Als er erkannte, dass sie es nicht schaffen würden, bevor das Unwetter einsetzte, wurde ihm klar, dass er einen näher gelegenen Ort finden musste. Er änderte die Richtung und wandte sich mehr nach Osten, auf ein kleines Wäldchen in einer der Schluchten auf der anderen Seite des Bergrückens zu.
Jedes Mal, wenn er Lizzie ansah, erschöpft, zitternd, wie sie tapfer versuchte, sich ihre Angst nicht anmerken zu lassen, versetzte es ihm einen schuldbewussten Stich, der sich wie ein Dolch in seinen Eingeweiden anfühlte.
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