Der verborgene Charme der Schildkröte
Majestät zu spielen. Das Spektakel begann um neun Uhr morgens und dauerte volle fünfzehn Minuten lang. Vor dem Mann war auch kein Entkommen, weil er Elisabeth II. bis nach Windsor, Holyrood und Balmoral folgte, wo er sich dem verhassten Ritual mit unverminderter Hingabe widmete.
Der stumme Diener öffnete die Tür zu Oswin Fieldings Büro und wies auf einen grünen Stuhl, auf dem Balthazar Jones warten möge. Sobald sich die Tür lautlos hinter ihm geschlossen hatte, setzte sich der Beefeater und zupfte von seinem linken roten Knie eine Fluse, die er auch nach eingehender Inspektion nicht zu identifizieren vermochte. Dann schaute er sich im Raum um. An den hellblauen Wänden hingen in schmalen goldenen Rahmen etliche Radierungen vom Buckingham Palace, Teil der Privatsammlung des Höflings. Als Balthazar sich vorbeugte, um die Fotografien auf dem edlen Schreibtisch zu betrachten, rann ihm unter der dicken roten Jacke ein Schweißtropfen hinab und kitzelte ihn an der Brust. Er nahm den nächstbesten Silberrahmen, aus dem ihn Oswin Fielding anschaute, praktisch kaum wiederzuerkennen mit seiner wilden Mähne und der Wanderkluft, den Arm um eine Blondine mit Baseballkappe gelegt. Als er die Beine des Mannes betrachtete, kam er zu dem Schluss, dass sie es nicht mit den seinen aufnehmen konnten.
Plötzlich öffnete sich die Tür, und der persönliche Diener Ihrer Majestät kam herein, den üppigen Duft eines Rasierwassers hinter sich herziehend. »Ich muss sagen, Sie sehen großartig aus«, erklärte er und öffnete den obersten Knopf seiner dezenten Anzugjacke. »Ihre Majestät ist unglücklicherweise verhindert, so dass wir nur zu zweit sein werden. Aber es ist sicher immer wieder ein Vergnügen, die guten, alten Kniehosen anzulegen, nicht wahr?«
Der Beefeater nahm langsam seinen schwarzen Hut ab und legte ihn in seinen Schoß.
»Wir können sicher beide eine Tasse Tee vertragen«, sagte der Höfling, als er sich hinter seinem Schreibtisch niederließ. Nachdem er einen entsprechenden Anruf getätigt hatte, lehnte er sich zurück. »Es muss ein großes Vergnügen sein, im Tower zu leben«, sagte er. »Als meine Kinder klein waren, haben sie mich immer gefragt, ob wir nicht dorthin ziehen können. Haben Sie Kinder? Über Ihr persönliches Umfeld weiß ich nur, dass Sie eine Schildkröte haben.«
Eine Pause trat ein.
Der Beefeater schaute auf den Schreibtisch. »Einen Sohn«, erwiderte er.
»Ist er noch bei Ihnen, oder ist er schon bei der Armee wie sein Vater?«
»Er ist nicht mehr bei uns«, sagte der Beefeater und schaute auf den Teppich.
Das Schweigen wurde von der Ankunft eines Dieners mit einem Silbertablett unterbrochen. Nachdem er es auf dem Schreibtisch des Höflings abgestellt hatte, schenkte er durch einen Silberschnabel zwei Tassen Tee ein und zog sich dann lautlos wieder zurück. Oswin Fielding hielt dem Beefeater einen Teller mit Shortbread hin. Balthazar Jones lehnte ab, weil ihn die anstößige Form der Kekse irritierte.
»Bedauerlich, es handelt sich um eine der Spezialitäten Ihrer Majestät, fast so gut wie ihre Scones. Zugegebenermaßen sehen sie etwas sonderbar aus. Offenbar hat sie ihre Brille nicht finden können«, sagte der Höfling und bediente sich.
Der Beefeater schaute bedauernd auf das Gebäck von königlicher Hand und dann auf den persönlichen Diener Ihrer Majestät, der nun hineinbiss und in Ekstase zu geraten schien. Sobald er wieder zu sich kam, nahm er eine Mappe aus einer abgeschlossenen Schublade und schlug sie auf. Er ging die geplanten Gebäude für die Menagerie durch und wies darauf hin, dass man nicht nur im Graben Gehege bauen, sondern auch die ungenutzten Türme des Towers umfunktionieren würde.
»Ich habe keine Vorstellung, wo man all diese Tiere unterbringen soll, da ich von exotischen Tieren praktisch nichts verstehe. Ich bin eher der Labradortyp, muss ich zugeben, daher überlasse ich das alles Ihnen«, sagte der Höfling lächelnd.
Balthazar Jones zog am Band seiner Halskrause, damit sie ihm nicht die Luft abschnürte.
»Vermutlich möchten Sie wissen, welche Tiere außer der Herzogin von York noch umgesiedelt werden«, fuhr der persönliche Diener Ihrer Majestät fort und blätterte um. »Ein paar Tukane. Wenn ich mich recht entsinne, stammen sie vom Präsidenten von Peru. Dann ein Zorilla. Das ist nicht, wie man vielleicht meinen könnte, eine Kreuzung aus Zebra und Gorilla, sondern ein hochverehrtes, allerdings auch einzigartig stinkendes,
Weitere Kostenlose Bücher