Der verborgene Garten - Der verborgene Garten - The Forgotten Garden
klammerten sich an die geschwungenen Buchstaben. Cassandra neigte den Kopf, um die Worte besser lesen zu können: Betreten auf eigene Gefahr .
»Die Mauer ist noch ziemlich neu«, bemerkte Robyn.
»Mit neu meint meine Frau, dass die Mauer erst hundert Jahre alt ist. Das Haus ist etwa dreimal so alt.« Henry räusperte sich. »Jetzt begreifen Sie sicher, dass das alte Gemäuer ziemlich baufällig ist.«
»Ich habe ein Foto.« Cassandra nahm es aus ihrer Handtasche.
Henry betrachtete es mit hochgezogenen Brauen. »Aufgenommen, bevor es zum Verkauf stand, würde ich mal sagen. Seitdem hat es sich ziemlich verändert. Es kümmert sich niemand darum, wissen Sie.« Er schob das schmiedeeiserne Tor auf und machte eine auffordernde Kopfbewegung. »Wollen wir?«
Ein mit Steinen gepflasterter Weg führte durch einen Laubengang aus uralten, verholzten Rosenbüschen, und es wurde spürbar kühl, als sie den Garten betraten. Schummrig und düster. Und über allem lag eine seltsame Stille. Selbst das unentwegte Rauschen des Meers wirkte hier oben gedämpft. Es war, als läge alles, was sich innerhalb der Steinmauer befand, in tiefem
Schlaf und wartete darauf, von etwas oder jemandem geweckt zu werden.
»Cliff Cottage«, sagte Henry, als sie das Ende des Wegs erreicht hatten.
Cassandras Augen weiteten sich. Sie stand vor einem Gewirr aus dichten Dornenranken. Efeu mit tiefgrünen, gezackten Blättern wucherte an den Mauern hoch, sodass nicht einmal mehr die Fenster zu sehen waren. Wenn sie nicht gewusst hätte, dass hier ein Haus stand, wäre sie nie darauf gekommen.
Henry hüstelte und errötete verlegen. »Es ist ziemlich sich selbst überlassen worden.«
»Ein gründlicher Hausputz, dann sieht das schon wieder ganz anders aus«, verkündete Robyn mit einer gezwungenen Zuversicht, die selbst ein untergegangenes Schiff noch hätte retten können. »Kein Grund, den Mut zu verlieren, Sie haben doch bestimmt schon mal gesehen, was die in diesen Renovierungsshows machen, oder? Haben Sie so was auch in Australien?«
Cassandra, den Blick auf das Dach geheftet, nickte abwesend.
Henry holte den Schlüssel aus seiner Hosentasche und reichte ihn Cassandra. »Nach Ihnen.«
Der Schlüssel war überraschend lang und schwer, mit einem Griff aus Messing. Als Cassandra ihn entgegennahm, hatte sie das Gefühl, ihn wiederzuerkennen. So einen Schlüssel hatte sie schon einmal in der Hand gehalten. Wann konnte das gewesen sein? Und wo? An ihrem Antiquitätenstand? Das Bild war überdeutlich, und doch wollte die Erinnerung sich nicht einstellen.
Cassandra trat auf die Stufe vor der Tür. Sie konnte das Schloss sehen, aber es war von Efeu überwuchert.
»Das haben wir gleich«, verkündete Robyn und förderte eine Gartenschere aus ihrer Handtasche. »Sieh mich nicht so an, Liebling«, sagte sie, als Henry verwundert die Brauen hob. »Ich bin ein Mädchen vom Land, und wir sind immer vorbereitet.«
Cassandra nahm das ihr angebotene Werkzeug entgegen und schnitt die Ranken eine nach der anderen ab. Als sie alle lose herunterhingen, hielt sie einen Moment lang inne und fuhr mit der Hand über die vom Salz angegriffene Holztür. Etwas in ihr sträubte sich dagegen weiterzumachen, wollte den Augenblick auf der Schwelle der Erkenntnis noch ein wenig genießen, doch als sie sich umdrehte, nickten Henry und Robyn ihr aufmunternd zu. Cassandra steckte den Schlüssel ins Schloss, fasste ihn mit beiden Händen und drehte ihn um.
Als Erstes schlug ihr der Geruch nach Feuchtigkeit und Fruchtbarkeit entgegen, und es stank nach Tierkot. Ähnlich wie der Regenwald in Australien, dessen Laubdach eine eigene Welt feuchter Fruchtbarkeit verbarg. Ein geschlossenes Ökosystem, allem Fremden gegenüber misstrauisch.
Sie machte einen zaghaften Schritt in den Flur. Durch die offene Haustür fiel gerade genug Licht, dass man moosige Flöckchen erkennen konnte, die in der schalen Luft trudelten, zu leicht und zu träge, um zu fallen. Der Boden bestand aus Holzdielen, auf denen Cassandras Schuhe ein Geräusch machten, als wollte sie sich für jeden Schritt entschuldigen.
Cassandra erreichte das erste Zimmer und lugte um die Ecke durch die Tür. Es war dunkel, die Fenster blind von jahrzehntealtem Schmutz. Nachdem ihre Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten, erkannte sie, dass es sich um die Küche handelte. In der Mitte standen ein heller Holztisch mit schiefen Beinen und zwei Stühle, die ordentlich unter den Tisch geschoben waren. In einer Nische auf
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