Der verborgene Garten - Der verborgene Garten - The Forgotten Garden
der gegenüberliegenden Seite befand sich ein schwarzer Herd, bedeckt mit einem pelzigen Vorhang aus Spinnweben. Ein Geschirrschrank war gefüllt mit altem Kochgeschirr, und in einem Spinnrad in der Ecke hing immer noch ein Stück dunkle Wolle.
»Das ist ja wie ein Museum«, flüsterte Robyn. »Nur verstaubter.«
»Ich fürchte, ich werde Ihnen nicht so bald eine Tasse Tee anbieten können«, bemerkte Cassandra.
Henry war zu dem Spinnrad hinübergegangen und zeigte auf eine holzverkleidete Nische. »Da ist eine Treppe.«
Eine schmale Stiege führte steil nach oben und machte an einem Absatz eine Biegung. Cassandra stellte einen Fuß auf die unterste Stufe, um sie zu testen. Sie wirkte stabil. Vorsichtig stieg sie die Treppe hoch.
»Schön aufpassen«, sagte Henry, der hinter ihr herging und ihr eine Hand in den Rücken hielt, eine unbeholfene, aber freundlich gemeinte, beschützende Geste.
Auf dem kleinen Absatz blieb Cassandra stehen.
»Was ist?«, fragte Henry.
»Ein Baum. Ein riesiger Baum versperrt den Weg. Er ist direkt durchs Dach gestürzt.«
Henry lugte über ihre Schulter hinweg. »Ich glaube kaum, dass wir den mit Robyns Gartenschere wegkriegen«, bemerkte er. »Da müssen Sie schon einen Holzfäller kommen lassen.« Er drehte sich um und rief: »Fällt dir jemand ein, Robyn? Wen würdest du anrufen, um einen umgestürzten Baum wegzuschaffen?«
Als Cassandra die Treppe herunterkam, sagte Robyn gerade: »Bobby Blakes Sohn, der kann so was.«
»Ein junger Mann aus dem Dorf«, erklärte Henry mit einem Nicken in Cassandras Richtung. »Der hat einen Gartenbaubetrieb. Er erledigt auch fast alle Arbeiten für das Hotel, und das ist die beste Empfehlung, die man sich wünschen kann.«
»Soll ich ihn mal anrufen?«, fragte Robyn, »und ihn fragen, wie es Ende der Woche bei ihm aussieht? Ich geh einfach raus auf die Klippe und seh mal, ob ich da Empfang habe. Mein Handy gibt keinen Ton mehr von sich, seit wir das Haus betreten haben.«
Henry schüttelte den Kopf. »Es ist über hundert Jahre her, seit Marconi sein Signal empfangen hat, und wohin hat die Technik
uns gebracht? Sie wissen doch sicher, dass das Signal von einer Bucht ganz hier in der Nähe gesendet wurde, nicht wahr? Von Poldhu Cove aus?«
»Ach, wirklich?« Cassandra dämmerte allmählich, in was für einem baufälligen Zustand sich das Haus befand, und sie fühlte sich regelrecht erschlagen. Auch wenn sie Henry dankbar war für seine Hilfsbereitschaft, war ihr im Augenblick nicht danach, so zu tun, als würde sie sich für einen Vortrag über die Geschichte der Telekommunikation interessieren. Sie wischte ein Geflecht aus Spinnweben fort, lehnte sich gegen die Wand und schenkte ihm ein stoisches Lächeln.
Henry schien zu spüren, was in ihr vorging. »Es tut mir schrecklich leid, dass das Haus sich in so einem desolaten Zustand befindet«, sagte er. »Ich kann mir nicht helfen, irgendwie fühle ich mich verantwortlich dafür, immerhin bin ich derjenige, der den Schlüssel und die Unterlagen aufbewahrt hat.«
»Sie hätten nichts machen können, da bin ich mir ziemlich sicher. Vor allem, wo Nell Ihren Vater gebeten hat, nichts zu unternehmen.« Sie lächelte. »Außerdem hängt ein Schild am Tor, das ausdrücklich vor dem Betreten des Grundstücks warnt.«
»Stimmt. Und Ihre Großmutter hat uns ausdrücklich untersagt, Handwerker kommen zu lassen. Sie meinte, das Haus sei ihr sehr wichtig, und sie würde sich um die Renovierung selbst kümmern.«
»Ich glaube, sie hatte vor, hierherzuziehen«, sagte Cassandra. »Und zwar für immer.«
»Ja«, erwiderte Henry. »Ich habe mir vor unserem Treffen heute Morgen noch einmal die alten Akten angesehen. In all ihren Briefen schreibt sie, dass sie hierherkommen will, und dann kam Anfang 1976 ein Schreiben, in dem sie uns erklärte, die Umstände hätten sich geändert und sie würde vorerst nicht wieder nach England kommen können. Allerdings bat sie meinen Vater, den Schlüssel in Verwahrung zu nehmen, damit sie wusste, wo sie ihn
gegebenenfalls finden würde.« Er schaute sich im Zimmer um. »Aber dann ist es nie dazu gekommen.«
»Nein«, sagte Cassandra.
»Aber jetzt sind Sie ja hier«, sagte er mit neuer Zuversicht.
»Ja.«
An der Tür war ein Geräusch zu hören, und sie blickten beide auf. »Ich habe Michael erreicht«, sagte Robyn, während sie das Handy einsteckte. »Er sagt, er kommt am Mittwochmorgen mal vorbei, um sich anzusehen, was zu machen ist.« Sie wandte sich an Henry.
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