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Der verborgene Garten - Der verborgene Garten - The Forgotten Garden

Titel: Der verborgene Garten - Der verborgene Garten - The Forgotten Garden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Morton
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einen eleganten Kopfsprung ins Wasser.

    Schockiert atmete Adeline ein. Nichts in ihrem Leben hatte sie auf ein derartiges Verhalten vorbereitet. Was war bloß in diese junge Frau gefahren, dass sie so etwas tat? Und wo war sie jetzt? Adeline reckte den Hals. Suchte mit den Augen das glitzernde Wasser ab, bis sie schließlich eine weiße Gestalt entdeckte, die in der Nähe des schwarzen Felsens an die Oberfläche kam. Die junge Frau zog sich an dem Felsen aus dem Wasser, das Kleid klebte ihr am ganzen Körper. Klatschnass wie sie war, kletterte sie, ohne sich noch einmal umzudrehen, auf den Felsen und verschwand über einen steilen Pfad, der zu einem kleinen Haus oben auf der Klippe führte.
    Adeline rang nach Luft. Sie schaute zu dem jungen Mann hinüber, der musste doch ebenso schockiert sein wie sie. Auch er hatte gesehen, wohin die junge Frau verschwunden war, und ruderte zurück in die Bucht. Er zog das Boot auf den Kiesstrand, nahm seine Schuhe und stieg die Stufen hinauf. Adeline fiel auf, dass er hinkte und einen Gehstock benutzte.
    Obwohl der Mann ganz dicht an Adeline vorbeiging, bemerkte er sie nicht. Er pfiff leise vor sich hin, eine Melodie, die Adeline nicht kannte. Eine heitere, fröhliche Melodie, voller Sonne und Salz. Das Gegenteil des düsteren Yorkshire, dem zu entfliehen Adeline sich so verzweifelt wünschte. Dieser junge Mann wirkte doppelt so groß wie die Burschen zu Hause und dazu noch viel gescheiter.
    Wie sie da so allein auf der Klippe stand, wurde ihr mit einem Mal bewusst, wie schwer und warm ihr Reisekostüm war. Das Wasser in der Bucht wirkte so kühl, und der schändliche Gedanke hatte sich ihrer bemächtigt, ehe sie es verhindern konnte: Wie mochte es sich anfühlen, ins Meer zu springen und klatschnass wieder aufzutauchen, wie die junge Frau es gerade getan hatte? Wie Georgiana es getan hatte?
    Später, viele Jahre später, als Linus’ Mutter, die alte Hexe, im Sterben lag, gestand sie Adeline, aus welchem Grund sie gerade
sie als Georgianas Schützling ausgewählt hatte. »Ich habe nach dem langweiligsten, möglichst frommen Mauerblümchen gesucht, das ich finden konnte, in der Hoffnung, dass etwas von dieser Person auf meine Tochter abfärben würde. Nie im Leben hätte ich gedacht, dass mein Paradiesvogel davonfliegen und das Mauerblümchen den Platz meiner Tochter einnehmen könnte. Eigentlich sollte ich dir gratulieren. Am Ende hast du gewonnen, nicht wahr, Lady Mountrachet?«
    Und das hatte sie. Von niedriger Geburt, war Adeline durch harte Arbeit und dank ihres unbeugsamen Willens in der Welt aufgestiegen, höher, als ihre Eltern es sich je hätten träumen lassen, als sie sie damals in ein unbekanntes Dorf in Cornwall gehen ließen.
    Und selbst nach ihrer Heirat und ihrem Aufstieg zur Lady Mountrachet hatte sie nicht aufgehört, hart zu arbeiten. Sie hatte ein strenges Regime geführt und dafür gesorgt, dass, auch wenn noch so viel Schmutz geworfen wurde, nichts davon an ihrer Familie, ihrem vornehmen Haus hängen blieb. Und das würde auch so bleiben. Georgianas Tochter wohnte bei ihnen, daran ließ sich nichts ändern. Jetzt war es an Adeline, sicherzustellen, dass das Leben auf Blackhurst Manor wo weiterging wie immer.
    Sie musste sich nur von der nagenden Angst befreien, dass Rose durch Elizas Anwesenheit Schaden nahm …
    Adeline schüttelte die bösen Vorahnungen ab und konzentrierte sich darauf, ihre Fassung wiederzugewinnen. Was Rose betraf, war sie schon immer überempfindlich gewesen, aber das war nur natürlich, wenn man ein derart kränkliches Kind hatte. Neben ihr winselte McLennan, ihr Hund. Auch er war schon den ganzen Tag nervös. Adeline streichelte seinen Kopf. »Schsch«, sagte sie. »Es wird alles gut.« Sie kratzte ihm die hochgezogenen Brauen. »Dafür werde ich sorgen.«
    Es gab nichts zu befürchten, denn welche Gefahr konnte dieser Eindringling, dieses magere, kleine Mädchen mit dem kurz
geschorenen Haar und der von einem Leben in Armut bleichen Haut schon für Adeline und ihre Familie darstellen? Man brauchte Eliza doch nur anzusehen, um zu wissen, dass sie keine Georgiana war, Gott sei’s gedankt. Vielleicht war diese innere Unruhe gar keine Angst, sondern Erleichterung. Erleichterung darüber, dass ihre schlimmsten Ängste sich in Wohlgefallen aufgelöst hatten. Denn Elizas Ankunft bedeutete zugleich die Gewissheit, dass Georgiana wirklich und endgültig fort war und nie wieder zurückkehren würde. An ihrer Stelle war ein verwahrlostes Kind

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