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Der verborgene Garten - Der verborgene Garten - The Forgotten Garden

Titel: Der verborgene Garten - Der verborgene Garten - The Forgotten Garden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Morton
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Räumen stattfinden.
    Im hohen, schimmernden Gras entdeckte Nell einen Stock, der genau die richtige Länge hatte. Es musste ein unermessliches Vergnügen bereiten, mithilfe eines solchen Stocks zu gehen, er würde dem Vorwärtskommen Zielstrebigkeit verleihen. Nicht zuletzt konnte er den Druck auf ihr geschwollenes Knie mindern. Sie hob den Stock auf und ging an der hohen Steinmauer entlang vorsichtig den Abhang hinunter. Am Eingangstor befand sich über dem Hinweisschild: Betreten auf eigene Gefahr ein weiteres Schild mit der Aufschrift: Zu verkaufen und eine Telefonnummer.
    Das also war das Cottage, das zum Blackhurst-Anwesen gehörte, das Cottage, das William Martin am liebsten dem Erdboden gleichgemacht hätte, weil es Zeuge unnatürlicher Dinge geworden war, was auch immer er damit gemeint haben mochte. Nell beugte sich zum Tor vor, um mehr sehen zu können. Das Haus machte ganz und gar keinen bedrohlichen Eindruck. Der Garten war zugewuchert, und die Abenddämmerung legte sich in Erwartung der Nacht in jeden Winkel. Ein kleiner Pfad führte zur Haustür, bog davor nach links ab und wand sich weiter durch den Garten. Vor der gegenüberliegenden Gartenmauer stand eine einzelne, von grünen Flechten bedeckte Statue. Ein kleiner nackter Junge in einem Gartenbeet, den Blick für immer auf das Haus gerichtet.
    Nein, das war kein Beet, der Junge stand in einem Fischteich.
    Das wusste sie plötzlich mit einer solchen Gewissheit, dass sie vor Verblüffung das Gartentor fester umklammerte. Woher wusste sie es?

    Mit einem Mal veränderte sich der Garten vor ihren Augen. Unkraut und Brombeeren, die seit Jahrzehnten dort wucherten, verschwanden. Das Laub hob sich vom Boden und legte Wege, Blumenbeete und eine Gartenbank frei. Licht durchströmte den Garten und spiegelte sich im Wasser des Teichs. Und dann befand sie sich an zwei Orten gleichzeitig: eine fünfundsechzigjährige Frau mit einem wunden Knie, die sich an ein rostiges Gartentor klammerte, und ein kleines Mädchen, die langen Haare zu einem dicken Zopf gebunden, das im weichen, kühlen Gras saß und die Füße im Teich baumeln ließ …
    Der dicke Fisch stieß wieder an die Oberfläche, sein Bauch leuchtete golden, und das Mädchen musste laut lachen, als der Fisch sein Maul öffnete und an ihrem großen Zeh knabberte. Sie liebte den Teich, hätte zu Hause auch gern einen gehabt, aber ihre Mutter fürchtete, sie könnte hineinfallen und ertrinken. Mama hatte häufig Angst, besonders wenn es um Dinge ging, die das kleine Mädchen betrafen. Wenn Mama wüsste, dass sie jetzt hier waren, würde sie ziemlich böse werden. Aber Mama wusste nichts davon, sie fühlte sich unpässlich, lag in ihrem dunklen Schlafzimmer, ein feuchtes Tuch auf der Stirn.
    Das kleine Mädchen hörte ein Geräusch und blickte auf. Papa und die Dame waren wieder nach draußen gekommen. Sie standen eine Weile da, während Papa etwas zu der Dame sagte. Etwas, das das Mädchen nicht hören konnte. Er berührte sie am Arm, worauf die Dame langsam auf das Mädchen zuging und es auf eine merkwürdige Weise musterte, die das Mädchen an die Statue des Jungen erinnerte, die Tag für Tag im Teich stand und nie blinzelte. Die Dame lächelte, es war ein magisches Lächeln, und das kleine Mädchen zog die Füße aus dem Wasser und wartete, neugierig, was die Dame wohl sagen würde …
    Eine Krähe flog knapp über Nells Kopf hinweg und holte sie in die Gegenwart zurück. Die Brombeeren und das Unkraut wucherten, das Laub fiel zu Boden, und der Garten war wie zuvor
ein feuchter Ort, den die Abenddämmerung gnädig verhüllte. Der kleine Junge war wieder von grünen Flechten bedeckt, wie es sein sollte.
    Nells Knöchel schmerzten. Sie ließ das Gartentor los und beobachtete die Krähe, die mit weit ausholendem Flügelschlag in den Wipfeln der Bäume verschwand. Am westlichen Himmel wurden die Wolkengebirge beleuchtet und hoben sich rosafarben gegen den dunklen Abendhimmel ab.
    Nell betrachtete benommen den Garten. Das kleine Mädchen war verschwunden. Oder nicht?
    Als sie den Stock wieder aufnahm und sich auf den Weg ins Dorf machte, folgte ihr ein ganz merkwürdiges, durchaus angenehmes Gefühl der Dualität.

28 Blackhurst Manor Cornwall, 1900
    Am nächsten Morgen, als die bleiche Wintersonne durch das Fenster des Kinderzimmers fiel, strich Rose ihr langes, dunkles Haar glatt. Mrs Hopkins hatte es gekämmt, bis es glänzte, genau so, wie Rose es mochte, und nun lag es perfekt auf der Spitze ihres

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