Der verborgene Garten - Der verborgene Garten - The Forgotten Garden
sie entführt wurde, hätte es da nicht eine groß angelegte Suchaktion geben müssen? Hätte das nicht in allen Zeitungen gestanden? Wie bei dem Lindbergh-Baby?«
»Nicht, wenn die Angehörigen die Sache geheim halten wollten.«
»Aber warum hätten sie das tun sollen? Sie hätten doch sicherlich ein Interesse daran gehabt, dass jeder davon erfährt.«
Cassandra schüttelte den Kopf. »Nicht, wenn sie einen Skandal
vermeiden wollten. Die Frau, die sie entführt hat, war das Mündel von Lord und Lady Mountrachet, Roses Cousine.«
Julia stockte der Atem. » Eliza hat Roses Tochter entführt?«
Jetzt war es an Cassandra, verblüfft zu sein. »Sie wissen von Eliza?«
»Natürlich, sie ist hier in der Gegend ziemlich bekannt.« Julia schluckte. »Also lassen Sie mich das noch mal klarstellen: Sie glauben also, Eliza hat Roses Tochter nach Australien entführt?«
»Sie hat sie auf das Schiff nach Australien gebracht, ist aber selbst nicht mitgefahren. Eliza ist irgendwo zwischen London und Maryborough verschwunden. Als mein Urgroßvater Nell gefunden hat, stand sie mutterseelenallein am Kai. Deshalb hat er sie mit zu sich nach Hause genommen, so ein kleines Mädchen konnte er schließlich nicht allein dort zurücklassen.«
Julia schnalzte mit der Zunge. »Das muss man sich mal vorstellen, ein kleines Mädchen einfach so allein zu lassen. Ihre arme Großmutter, wie furchtbar, nicht zu wissen, wo man herkommt. Jetzt verstehe ich, warum sie sich hier alles so genau ansehen wollte.«
»Nur aus diesem Grund hat Nell damals das Cottage gekauft«, erwiderte Cassandra. »Nachdem sie herausgefunden hatte, wer sie war, wollte sie ein Stück ihrer Vergangenheit besitzen.«
»Ja, natürlich.« Julia hob die Hände und ließ sie wieder sinken. »Das finde ich absolut nachvollziehbar, aber alles andere - ich weiß nicht.«
»Was meinen Sie damit?«
»Na ja, selbst wenn das, was Sie sagen, stimmt, wenn Roses Tochter überlebt hat, entführt wurde und in Australien aufgewachsen ist, kann ich einfach nicht glauben, dass Eliza etwas damit zu tun gehabt haben soll. Rose und Eliza haben sich sehr nahegestanden. Sie waren eher Schwestern als Cousinen, die allerbesten Freundinnen.« Einen Augenblick lang schwieg sie nachdenklich, dann atmete sie entschlossen aus. »Nein, ich kann einfach
nicht glauben, dass Eliza zu einem solchen Verrat fähig gewesen sein soll.«
Das war kein sachlicher Kommentar von jemandem, der eine historische Hypothese diskutiert; offenbar glaubte Julia fest an Elizas Unschuld. »Was macht Sie da so sicher?«
Julia wies auf zwei Korbstühle vor dem Erkerfenster. »Wollen wir uns einen Augenblick hinsetzen? Ich lasse uns von Samantha Tee bringen.«
Cassandra warf einen Blick auf ihre Uhr. Ihre Verabredung mit dem Gärtner rückte näher, aber die Leidenschaft, mit der Julia über Eliza und Rose sprach, als wären sie alte Freundinnen, hatte sie neugierig gemacht. Sie nahm auf dem angebotenen Stuhl Platz, während Julia bei Samantha Tee bestellte.
Nachdem Samantha sich wieder entfernt hatte, fuhr Julia fort: »Als wir Blackhurst damals gekauft haben, war es völlig heruntergekommen. Wir hatten schon immer von so einem Hotel geträumt, aber am Anfang ist es eher in einen Albtraum ausgeartet. Sie glauben ja gar nicht, wie viel bei einem Haus dieser Größe schiefgehen kann. Wir haben drei Jahre gebraucht, um überhaupt einen Fuß auf die Erde zu bekommen. Es war unglaublich harte Arbeit, und darüber wäre beinahe unsere Ehe in die Brüche gegangen. Nichts kann ein Paar so schnell entzweien wie feuchtes Gemäuer und zahllose Löcher im Dach.«
Cassandra lächelte. »Das kann ich mir lebhaft vorstellen.«
»Es ist wirklich traurig, die Familie Mountrachet hat das Haus so lange bewohnt und mit viel Liebe instand gehalten, aber seit dem Ersten Weltkrieg hat es nur noch leer gestanden. Vor die Fenster waren Bretter genagelt, die Kamine zugemauert, ganz zu schweigen von den Schäden, die die Soldaten angerichtet haben, die hier in den Vierzigerjahren gehaust haben.
Wir haben jeden Penny, den wir besaßen, in das Haus gesteckt. Damals war ich noch Schriftstellerin, in den Sechzigern habe ich eine Reihe Liebesromane geschrieben. Ich war zwar keine Jackie
Collins, aber ich habe gut verdient. Mein Mann war im Bankgeschäft tätig, und wir glaubten, über ausreichend Mittel zu verfügen, um das Haus renovieren und als Hotel betreiben zu können.« Sie lachte. »Wir haben es völlig unterschätzt. Total. Als das
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