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Der verborgene Garten - Der verborgene Garten - The Forgotten Garden

Titel: Der verborgene Garten - Der verborgene Garten - The Forgotten Garden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Morton
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begann er zu stottern, und er wuchs zu einem unausstehlichen Jungen heran, der begriffen hatte, dass er nur Aufmerksamkeit auf sich lenken konnte, indem er sich schlecht benahm. Er weigerte sich, das Haus zu verlassen, was dazu führte, dass seine Haut blass wurde und sein gesundes Bein immer dünner. Er warf seiner Mutter Insekten in den Tee, steckte Dornen in die Hausschuhe seines Vaters und ließ ohne Murren jede Bestrafung über sich ergehen. Und so war der weitere Verlauf seines Lebens vorherbestimmt.

    Als er zehn Jahre alt war, wurde seine kleine Schwester geboren.
    Linus verachtete sie vom ersten Augenblick an. So weich und hübsch und gesund. Und, wie Linus bei einem Blick unter ihr langes Spitzenkleidchen entdeckte, perfekt ausgebildet. Beide Beine gleich lang. Hübsche kleine Füße, kein Stück nutzloses, verschrumpeltes Fleisch zu sehen.
    Aber schlimmer noch als ihre körperliche Vollkommenheit war ihre gute Laune. Ihr rosiges Lächeln, ihr helles Lachen. Wie kam sie dazu, so glücklich zu sein, während er, Linus, sich so elend fühlte?
    Linus beschloss, etwas dagegen zu unternehmen. Immer wenn er sich von seinem Kindermädchen entfernen konnte, schlich er sich ins Kinderzimmer und kniete sich vor das Bettchen. Wenn das Baby schlief, machte er unverhofft ein lautes Geräusch, um es zu erschrecken. Wenn es nach einem Spielzeug greifen wollte, brachte er es außer Reichweite. Wenn die Kleine die Arme ausbreitete, verschränkte er seine. Wenn sie lächelte, zog er eine fürchterliche Grimasse.
    Sie ließ sich davon jedoch überhaupt nicht beeindrucken. Nichts, was Linus anstellte, brachte sie zum Weinen, nichts konnte ihr sonniges Gemüt beeinträchtigen. Das verwirrte ihn, und so begann er, heimtückische und besondere Bestrafungen für seine kleine Schwester zu erfinden.
    Als Linus zum Jugendlichen heranwuchs, wurde er noch linkischer, seine Arme waren lang und schlaksig, und aus seinem pickligen Kinn sprossen merkwürdige rötliche Härchen. Georgiana erblühte zu einem hübschen Kind, das von allen geliebt wurde. Selbst den verbittertsten Pächtern entlockte sie ein Lächeln, Bauern, die seit Jahren kein freundliches Wort für die Familie Mountrachet übrig gehabt hatten, schickten körbeweise Äpfel in die Küche des Hauses, um Miss Georgiana zu erfreuen.

    Eines Tages, als Linus auf der Fensterbank saß und mit seinem geliebten neuen Vergrößerungsglas Ameisen zu Asche verbrannte, rutschte er ab und fiel auf den Boden. Er selbst blieb unverletzt, doch sein kostbares Glas zersplitterte in hundert Teile. So wütend über den Verlust seines wertvollen Spielzeugs und so sehr daran gewöhnt, sich selbst zu enttäuschen, brach er trotz seiner dreizehn Jahre in Tränen aus und begann, hemmungslos zu schluchzen. Er erging sich in Selbstmitleid, hasste sich selbst dafür, dass er so ungeschickt gefallen war, dass er nicht klug genug war, keine Freunde hatte, nicht geliebt wurde und behindert auf die Welt gekommen war.
    Blind vor Tränen hatte er nicht bemerkt, dass sein Sturz beobachtet worden war. Es wurde ihm erst klar, als er spürte, dass jemand seinen Arm berührte. Er blickte auf und sah seine kleine Schwester dort stehen, die ihm etwas entgegenhielt. Es war Claudine, ihre Lieblingspuppe.
    »Linus traurig«, sagte sie. »Armer Linus. Claudine macht Linus glücklich.«
    Linus verschlug es die Sprache, er nahm die Puppe und schaute seine kleine Schwester an, die sich neben ihn setzte.
    Mit einem erst unsicheren, dann höhnischen Grinsen drückte er eins von Claudines Augen ein. Dann musterte er seine Schwester, um festzustellen, welche Wirkung seine Zerstörungswut auf sie hatte.
    Sie nuckelte am Daumen, den Blick fest auf ihn gerichtet, die großen blauen Augen voller Mitgefühl. Nach einem Augenblick nahm sie die Puppe und drückte ihr das andere Auge ein.
    Von dem Tag an waren sie ein Herz und eine Seele. Klaglos, ohne die Miene zu verziehen, nahm sie die Wutanfälle ihres Bruders hin, seinen grausamen Humor, die boshaften Charakterzüge, die er aufgrund des Mangels an Liebe entwickelt hatte. Sie ertrug seine Streitsucht, ließ sich von ihm beschimpfen und später auch liebkosen.

    Wenn man sie nur damit in Ruhe gelassen hätte, hätte sich alles zum Guten wenden können. Aber weder der Vater noch die Mutter konnten es dulden, dass jemand Linus liebte. Er hörte sie tuscheln - zu viel Zeit zusammen, gehört sich nicht, schadet der Gesundheit -, und wenige Monate später wurde er in ein Internat

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