Der verborgene Garten - Der verborgene Garten - The Forgotten Garden
Runden begleitet, hatte die stachligen Blumen im Antipodengarten und die Ananasstauden im Gewächshaus bestaunt und voller Verwunderung die winzigen Pflänzchen betrachtet, die über Nacht an Stellen aufgetaucht waren, wo er zuvor mitgeholfen hatte, die Samen auszusäen.
Das Wunderbarste jedoch war gewesen, dass Linus in den Gartenanlagen gelernt hatte, sich nicht mehr zu schämen. Den Pflanzen, Bäumen und Blumen war es egal gewesen, dass sein linkes Bein zu früh aufgehört hatte zu wachsen und mehrere Zentimeter kürzer war als das rechte. Dass sein linker Fuß nur ein nutzloses Anhängsel war, verkümmert und krumm, absonderlich. In den Gartenanlangen von Blackhurst war Platz für alles und jeden.
Dann, im Alter von sieben Jahren, hatte Linus sich im Labyrinth verirrt. Davies hatte ihn davor gewarnt, allein hineinzugehen, ihm erklärt, dass der Weg lang und dunkel sei, voller Hindernisse, aber Linus war so stolz auf seine sieben Jahre gewesen, hatte sich groß und unverwundbar gefühlt. Das Labyrinth mit seinen dichten, üppigen Wänden, mit der Verheißung von Abenteuer, hatte ihn unwiderstehlich angelockt. Er war ein edler
Ritter, bereit, es mit dem wildesten Drachen im ganzen Land aufzunehmen, und er würde triumphierend aus der Schlacht hervorgehen. Und den Weg zum Ausgang auf der anderen Seite finden.
Linus hatte nicht vorhersehen können, wie dunkel es im Laby rinth werden würde und wie schnell das ging. Im Dämmerlicht begannen die Umrisse ein Eigenleben zu entwickeln, grinsten ihn bösartig aus ihren Verstecken an, hohe Hecken verwandelten sich in hungrige Ungeheuer, niedrige Hecken führten ihn in die Irre: Sooft er glaubte, auf dem richtigen Weg zu sein, war er in Wirklichkeit im Kreis gelaufen. Oder doch nicht?
Bis zur Mitte war er gekommen, ehe die Verzweiflung ihn völlig übermannt hatte. Dann, als wäre alles noch nicht schlimm genug, war er über einen Messingring gestolpert, der auf einer Bodenplattform angebracht war, und so unglücklich gestürzt, dass er sich den gesunden Knöchel völlig verrenkt hatte. Ihm war nichts anderes übrig geblieben, als mit schmerzendem Knöchel dazusitzen, während ihm heiße Tränen der Wut über die Wangen liefen.
Linus hatte gewartet und gewartet. Aus der Dämmerung wurde Dunkelheit, aus Kühle Kälte, und seine Tränen trockneten. Später erfuhr er, dass sein Vater sich geweigert hatte, jemanden zu schicken, um ihn zu suchen. Er sei schließlich ein Junge, sagte sein Vater, und behindert oder nicht, ein richtiger Junge würde aus eigener Kraft den Weg aus dem Labyrinth herausfinden. Schließlich habe er selbst - Saintjohn Luke - es geschafft, als er gerade mal vier Jahre alt gewesen war. Sein Sohn solle gefälligst nicht so zimperlich sein.
Linus hatte die halbe Nacht vor Kälte gezittert, bis schließlich seine Mutter den Vater dazu überreden konnte, Davies nach Linus suchen zu lassen.
Es hatte eine Woche gedauert, bis Linus’ Knöchel wieder verheilt war, aber danach hatte sein Vater ihn zwei Wochen lang jeden Tag ins Labyrinth geschickt. Hatte von ihm verlangt, seinen
Weg hindurchzufinden, und ihn jedes Mal für sein unvermeidliches Scheitern gescholten. Linus begann, nachts vom Labyrinth zu träumen und tagsüber aus dem Gedächtnis Lagepläne von dem Irrgarten zu zeichnen. Er arbeitete daran wie an einem mathematischen Problem, denn er wusste, es musste eine Lösung geben. Wenn er ein richtiger Junge war, dann würde er sie auch finden.
Nach zwei Wochen gab sein Vater auf. Am fünfzehnten Morgen, als Linus zu seinem Test erschien, ließ sein Vater nicht einmal die Zeitung sinken. »Du bist eine einzige Enttäuschung«, sagte er, »ein Dummkopf, der es nie zu etwas bringen wird.« Er blätterte eine Seite um, strich sie glatt und überflog die Überschrift. »Geh mir aus den Augen.«
Linus hatte sich nie wieder auch nur in die Nähe des Labyrinths begeben. Unfähig, seinen Eltern die Schuld an seinem schändlichen Versagen zu geben - sie hatten ja recht, welcher richtige Junge würde nicht seinen Weg durch ein Labyrinth finden? -, machte er den Garten verantwortlich. Er begann, kleine Äste von Sträuchern abzubrechen, Blumen auszurupfen und Schösslinge niederzutrampeln.
Jeder Mensch wird von Dingen geprägt, die außerhalb seines Einflusses liegen, von ererbten Charakterzügen und von erlernten Eigenschaften. Was Linus prägte, war das Bein, das nicht weiter wachsen wollte. Seine Behinderung ließ ihn schüchtern werden, aus Schüchternheit
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