Der verborgene Garten - Der verborgene Garten - The Forgotten Garden
eines jungen Mannes. Unfassbar, dass er das Mädchen fotografieren wollte! Was er für Adeline nie getan hatte. Nicht einmal für Rose.
»Schließen Sie bitte die Augen, Lady Mountrachet«, sagte ihre Zofe. Adeline tat, wie ihr geheißen. Den warmen Atem der Frau zu spüren, die ihr die Augenbrauen kämmte, hatte etwas seltsam Tröstliches. Ach, wenn sie doch immer so dasitzen könnte, den warmen, süßen Atem dieser einfachen, fröhlichen jungen Frau im Gesicht und frei von all den quälenden Gedanken. »Sie können die Augen wieder aufmachen, Ma’am, ich hole Ihre Perlen.«
Die Zofe eilte davon, und Adeline war allein. Sie beugte sich vor. Ihre Brauen waren geglättet, ihr Haar war ordentlich frisiert. Sie zwickte sich in die Wangen, vielleicht heftiger, als notwendig war, dann lehnte sie sich wieder zurück, um das Gesamtergebnis zu begutachten. Wie grausam war es doch zu altern! Kleine Veränderungen, die unbemerkt eintraten und nicht aufzuhalten waren. Der Nektar der Jugend rann durch ein Sieb, dessen Löcher immer größer wurden. »Und so wurdest du vom Freund zum Feind«, flüsterte Adeline dem erbarmungslosen Spiegel zu.
»So, Ma’am«, sagte die Zofe. »Das Collier mit den Rubinen am Verschluss. Für diesen glücklichen Anlass genau das Richtige. Wer hätte das gedacht? Ein Festessen zu Miss Roses achtzehntem Geburtstag! Das nächste Fest wird bestimmt eine Hochzeit, glauben Sie mir …«
Während ihre Zofe munter vor sich hin plapperte, wandte Adeline den Blick vom Spiegel ab, um nicht länger ihren eigenen Verfall betrachten zu müssen.
Das Foto hing an seinem angestammten Platz neben ihrem Frisiertisch. Wie gut sie in ihrem Brautkleid aussah, wie vollkommen. Niemand hätte angesichts dieses Fotos geahnt, wie viel Selbstbeherrschung es sie gekostet hatte, nach außen hin dieses Beispiel an Gelassenheit abzugeben. Linus seinerseits sah vom Scheitel bis zur Sohle wie der perfekte Bräutigam aus. Ein bisschen missmutig vielleicht, aber so wollte es nun einmal der Brauch.
Ein Jahr nach Georgianas Verschwinden hatten sie geheiratet. Vom Zeitpunkt ihrer Verlobung an hatte Adeline Langley hart daran gearbeitet, sich neu zu definieren. Sie war fest entschlossen, sich des großartigen, alten Namens Mountrachet als würdig zu erweisen: Sie hatte sich ihren Akzent aus dem Norden und ihre kleinstädtischen Eigenheiten abgewöhnt, Mrs Beetons Benimmregeln verschlungen und sich sowohl in den verwandten Künsten des Hochmuts und der Vornehmheit geschult. Wenn ihre Herkunft
in Vergessenheit geraten sollte, das wusste Adeline, dann musste sie mehr als eine perfekte Dame werden.
»Hätten Sie gern Ihre grüne Haube, Lady Mountrachet?«, fragte die Zofe. »Sie passt einfach so gut zu Ihrem Kleid, und Sie werden einen Hut brauchen, wenn Sie sich auf den Weg in die Bucht machen.«
Ihre Hochzeitsnacht war nicht im Entferntesten so gewesen, wie Adeline es sich vorgestellt hatte. Sie war sich nicht ganz sicher, und danach zu fragen, war undenkbar, aber sie vermutete, dass Linus ebenfalls enttäuscht war. Danach hatten sie nur noch selten das Ehebett geteilt, und noch weniger, nachdem Linus damit begonnen hatte herumzureisen. Um zu fotografieren, hatte er gesagt, aber Adeline kannte die Wahrheit.
Wie wertlos sie sich fühlte. Wie gescheitert als Frau und als Gattin. Noch schlimmer, gescheitert als Dame der Gesellschaft. Denn trotz aller Bemühungen wurden sie nur selten eingeladen. Linus, wenn er sich einmal in Blackhurst aufhielt, war ein erbärmlicher Gesellschafter, blieb meist für sich und beantwortete Fragen nur, wenn es unumgänglich war, und auch nur mit feindseligen Bemerkungen. Als Adeline schließlich zu kränkeln begann und blass und erschöpft aussah, schrieb sie das ihrer Verzweiflung zu. Erst als ihr Bauch immer dicker wurde, begriff sie, dass sie schwanger war.
»So, Lady Mountrachet. Jetzt sind Sie bereit für das Fest.«
»Danke, Poppy.« Adeline rang sich ein schmallippiges Lächeln ab. »Ich brauche dich dann nicht mehr.«
Als sich die Tür schloss, legte Adeline ihr Lächeln ab und betrachtete sich erneut im Spiegel.
Rose war die rechtmäßige Erbin des Mountrachet-Ruhms. Dieses Mädchen, Georgianas Tochter, war nichts als ein Kuckuck, geschickt, um den Platz von Adelines Kind einzunehmen. Es aus dem Nest zu stoßen, das Adeline mit so viel Mühe zu ihrem eigenen gemacht hatte.
Eine Zeit lang hatte sich die Ordnung aufrechterhalten lassen. Adeline hatte Rose mit den neuesten Kleidern
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