Der verborgene Garten - Der verborgene Garten - The Forgotten Garden
Zeit gepflanzten Baum, der immer noch Früchte trug. Jahrein, jahraus. Der Apfel schmeckte unglaublich süß. Schmeckten Äpfel immer so süß?
Sie gähnte. Die Sonne hatte sie schläfrig gemacht. Sie würde noch ein bisschen hier sitzen bleiben, nur ein Weilchen, bis der Gärtner kam. Sie nahm noch einen großen Bissen. Im Zimmer schien es jetzt wärmer zu sein als zuvor. Als würde ein Feuer im Herd brennen, als wäre jemand in der Küche und dabei, das Mittagessen zuzubereiten. Ihre Lider wurden schwer, und sie schloss die Augen. Irgendwo sang ein Vogel eine einsame, liebliche Melodie, vom Wind getriebene Blätter schlugen zart gegen die Fensterscheibe, und in der Ferne atmete das Meer in regelmäßigem Rhythmus, ein und aus, ein und aus …
… ein und aus, ein und aus, den ganzen Tag. Cassandra ging in der Küche auf und ab, blieb vor dem Fenster stehen, verbot sich jedoch einen weiteren Blick nach draußen. Schaute stattdessen noch einmal auf ihre Uhr. Er verspätete sich. Er hatte gesagt, um halb würde er da sein. Sie überlegte, ob seine Verspätung etwas zu bedeuten hatte, ob er aufgehalten worden war oder ob er es sich anders überlegt hatte. Ob er noch kommen würde.
Ihre Wangen glühten. Es war fürchterlich warm im Haus. Sie trat an den Herd und schaltete die Hitze herunter. Fragte sich, ob sie etwas hätte kochen sollen.
Ein Geräusch draußen vor dem Haus.
Ihre Ruhe war dahin. Er war eingetroffen.
Sie öffnete die Tür, und er trat wortlos ein.
Er wirkte so groß in dem engen Flur, und obwohl sie ihn gut kannte, war sie plötzlich ganz schüchtern und konnte ihm nicht in die Augen sehen.
Auch er war nervös, das war deutlich zu spüren, obgleich er sich alle Mühe gab, es sich nicht anmerken zu lassen.
Sie setzten sich einander gegenüber an den Küchentisch, die Lampe über ihnen flackerte. Ein seltsamer Ort, um an solch einem Abend zusammenzusitzen, aber so war es nun mal. Sie betrachtete ihre Hände, unsicher, wie sie sich verhalten sollte. Anfangs schien alles so einfach zu sein. Aber jetzt sah sie auf einmal lauter Fallstricke vor sich. Vielleicht verliefen solche Begegnungen immer so?
Er streckte eine Hand aus.
Sie erschrak, als er eine Strähne ihres Haars mit zwei Fingern nahm und sie, wie es ihr vorkam, eine Ewigkeit lang betrachtete. Dabei schien er sich weniger für ihre Haare zu interessieren als sich darüber zu wundern, dass er ihre Haare zwischen seinen Fingern hielt.
Schließlich hob er den Kopf, und ihre Blicke begegneten sich. Zärtlich legte er ihr seine Hand an die Wange. Dann lächelte er, und sie erwiderte sein Lächeln. Sie seufzte vor Erleichterung und noch aus einem anderen Grund. Er öffnete den Mund und sagte …
»Hallo?« Ein lautes Klopfen. »Hallo? Ist hier jemand?«
Cassandra öffnete die Augen. Der Apfel in ihrer Hand fiel zu Boden.
Sie hörte schwere Schritte, und dann stand plötzlich ein Mann in der Tür, groß, kräftig gebaut, etwa Mitte vierzig. Dunkles Haar, dunkle Augen, breites Lächeln.
»Hallo«, sagte der Mann und breitete die Hände mit einer Geste aus, als wollte er sich ergeben. »Sie machen ja ein Gesicht, als hätten Sie ein Gespenst gesehen.«
»Sie haben mich erschreckt«, sagte Cassandra verlegen und stand auf.
»Tut mir leid.« Er trat auf sie zu. »Die Tür war offen. Ich wusste nicht, dass Sie ein Nickerchen machen.«
»Hab ich auch nicht, ich meine, doch, hab ich, aber das war nicht vorgesehen. Ich wollte mich nur ein bisschen in dem Sessel ausruhen, und …« Cassandra ließ den Satz unvollendet, als ihr der Traum wieder einfiel. Es war sehr lange her, dass sie etwas auch nur entfernt Erotisches geträumt hatte. Seit Nicks Tod nicht mehr. Wo in aller Welt war das bloß auf einmal hergekommen?
Der Mann grinste und reichte ihr die Hand. »Ich bin Michael Blake, der berühmte Landschaftsgärtner. Und Sie sind sicherlich Cassandra.«
»Richtig.« Sie errötete, als seine große, warme Hand die ihre umschloss.
Er schüttelte lächelnd den Kopf. »Mein Kumpel behauptet, Australierinnen seien die schönsten Frauen der Welt, aber ich hab ihm nie geglaubt. Jetzt weiß ich, dass er recht hat.«
Cassandra wusste vor Verlegenheit gar nicht, wohin sie ihren Blick richten sollte, und entschied sich schließlich für einen Punkt jenseits seiner linken Schulter. Selbst wenn sie völlig entspannt war, machte es sie nervös, wenn jemand so offen mit ihr flirtete, aber ihr Traum hatte sie dazu noch völlig
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