Der verborgene Garten - Der verborgene Garten - The Forgotten Garden
ihre Zeugung hingegen eine unangenehme Prozedur sein konnte. Folglich hatte sie in ihrer Hochzeitsnacht mit dem Schlimmsten gerechnet. Als Nathaniel ihr das Hochzeitskleid ausgezogen hatte, das mit der Spitze, die Mama extra aus Brüssel hatte kommen lassen, hatte Rose mit angehaltenem Atem sein Gesicht beobachtet. Sie war schrecklich nervös. Die Angst vor dem Unbekannten und die Furcht, Nathaniel könnte ihre Male sehen, hatten sie völlig erstarren lassen. Reglos wartete sie darauf, dass er etwas sagte, und fürchtete sich zugleich davor. Schweigend legte er erst ihr Kleid beiseite, dann den Unterrock. Wich ihrem Blick aus. Betrachtete sie langsam und eingehend wie ein Kunstwerk, von dem man sich schon immer gewünscht hat, es einmal zu Gesicht zu bekommen. Seine dunklen Augen waren konzentriert, seine Lippen leicht geöffnet. Als er eine Hand hob, begann Rose zu zittern. Mit einer Fingerspitze fuhr er ganz langsam über das größere Mal. Die Berührung jagte Schauer über ihren Bauch und über die Innenseite ihrer Schenkel.
Als sie sich später liebten, stellte Rose fest, dass die Damen recht gehabt hatten. Es tat weh. Aber Schmerzen waren Rose vertraut, sie hatte gelernt, in solchen Situationen aus sich herauszutreten, sodass sie zur Beobachterin wurde und den Schmerz kaum noch spürte. Sie konzentrierte sich auf Nathaniels Gesicht, so dicht über ihrem - seine geschlossenen Augen, die dunklen
Wimpern. Sein Atem ging schneller und schwerer, und Rose entdeckte, dass sie Macht besaß. In all den Jahren, die sie mit Krankheiten verbracht hatte, hatte sie sich nie als einen Menschen wahrgenommen, der in irgendeiner Form Macht hatte. Sie war immer nur die arme, zarte, schwache Rose gewesen. Aber in Nathaniels Gesicht sah sie Verlangen, und dieses Verlangen verlieh ihr Macht.
Auf ihrer Hochzeitsreise war es ihr vorgekommen, als spielte die Zeit gar keine Rolle mehr. Minuten und Stunden existierten nicht länger, nur noch Tage und Nächte, Sonne und Mond. Es war ein Schock, als sie nach England zurückkehrten und feststellten, dass die Verbindlichkeiten der Zeit sie dort erwarteten. Und das Leben auf Blackhurst wieder aufzunehmen, war ebenfalls ein Schock. In Italien hatte Rose sich daran gewöhnt, ein Privatleben zu haben, und mit einem Mal fühlte sie sich von der Anwesenheit anderer gestört. Immer war jemand in der Nähe - die Diener, Mama, ja selbst Eliza. Ständig musste sie damit rechnen, dass jemand um die Ecke kam und ihre Aufmerksamkeit von Nathaniel ablenkte. Rose hätte gern ein eigenes Haus gehabt, wo sie niemand stören würde, aber sie wusste, dass das noch Zeit brauchte. Und Mama hatte recht: Auf Blackhurst hatte Nathaniel bessere Gelegenheiten, die richtigen Leute kennenzulernen, und zudem war das Haus so groß, dass zwanzig Menschen bequem dort leben konnten.
Sei’s drum. Rose legte zärtlich eine Hand auf ihren Bauch. Sie hatte das Gefühl, dass sie, ehe das neue Jahr begann, ein Kinderzimmer brauchen würden. Den ganzen Morgen fühlte sie sich schon so seltsam, wie jemand, der ein ganz besonderes Geheimnis hütet. Sie war sich ganz sicher, dass ein solch bedeutsames Ereignis sich so anfühlte, dass eine Frau sofort um das Wunder eines neuen Lebens in ihrem Körper wusste. Das goldene Herz ihres Gänseblümchens fest in der Hand ging Rose zum Haus zurück, spürte die Sonnenwärme im Rücken. Sie fragte sich, wann
sie Nathaniel die frohe Botschaft verkünden sollte. Lächelte bei dem Gedanken. Wie er sich freuen würde! Denn erst mit einem Kind würden sie wirklich ganz sein.
38 Cliff Cottage Cornwall, 2005
Endlich schien der Herbst bemerkt zu haben, dass es bereits September war. Die letzten saumseligen Sommertage waren von der Bühne gescheucht worden, und im geheimen Garten streckten sich die langen Schatten dem Winter entgegen. Herbstlich bunt gefärbtes Laub bedeckte den Boden, und Kastanien in stacheligen Hüllen hockten stolz an den Fingerspitzen kahler Zweige.
Cassandra und Christian hatten die ganze Woche am Haus gearbeitet - die Fenster von Ranken befreit, Schimmelflecken von den Wänden im Haus geschrubbt und morsche Dielenbretter ausgetauscht. Aber jetzt war Freitag, und weil sie beide begeisterte Gärtner waren, hatten sie beschlossen, sich nun dem Garten zuzuwenden.
Christian war dabei, an der Stelle, wo sich das zweite Tor befunden hatte, mit dem Spaten nach dem Fundament zu graben, das aus einem riesigen Sandsteinblock bestand, und Cassandra riss seit zwei Stunden vor der
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