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Der verborgene Garten - Der verborgene Garten - The Forgotten Garden

Titel: Der verborgene Garten - Der verborgene Garten - The Forgotten Garden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Morton
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Moment lang begegneten sich ihre Blicke, dann schaute sie zu Boden. »Warum arbeiten Sie hier in Tregenna für Michael, anstatt in Oxford als Arzt tätig zu sein?«
    Als Christian nicht gleich antwortete, traute sie sich, ihn wieder anzuschauen. Sein Gesichtsausdruck war schwer zu durchschauen. Er zuckte die Achseln, lächelte zaghaft. »Warum sind Sie hier in Tregenna und renovieren ohne Ihren Mann ein Haus?«
    Cassandra fuhr erschrocken zusammen. Unwillkürlich begann sie, ihren Ehering zu befingern. »Ich … Ich bin …« Alle möglichen ausweichenden Antworten lagen ihr auf der Zunge, doch dann hörte sie sich sagen, in einer Stimme, die ihr selbst fremd klang: »Ich habe keinen Mann. Ich hatte mal einen, aber ich … Es hat einen Unfall gegeben, und Nick wurde …«
    »Verzeihen Sie. Sie müssen meine Frage nicht beantworten, ich wollte Sie nicht …«
    »Ist schon in Ordnung, ich …«
    »Nein, ist es nicht.« Christian fuhr sich durch das Haar, dann hob er eine Hand. »Ich hätte nicht fragen dürfen.«
    »Es ist in Ordnung. Ich hab zuerst gefragt.« Und seltsamerweise, auch wenn sie sich das nicht erklären konnte, war sie froh, dass sie versucht hatte, Christians Frage zu beantworten. Nicks Namen auszusprechen, erleichterte sie, irgendwie nahm es ihr dieses Gefühl von Schuld, weil sie immer noch lebte und er nicht. Dass sie jetzt mit Christian in diesem Garten saß.
    Der Topf wackelte auf dem Campingkocher, das Wasser brodelte. Christian füllte ihre Henkeltassen, gab in jede einen Löffel Zucker und rührte um. Dann reichte er Cassandra ihren Tee.
    »Danke.« Sie umfasste die heiße Tasse mit beiden Händen und pustete über den Tee.
    Christian trank einen Schluck, verzog das Gesicht, als er sich die Zunge verbrannte.
    Schwer breitete sich das Schweigen zwischen ihnen aus, und Cassandra suchte vergeblich nach einem Gesprächsfaden, um die Unterhaltung wieder aufzunehmen.
    Schließlich sagte Christian: »Ich glaube, für Ihre Großmutter war es ein Glück, dass sie nichts von ihrer Vergangenheit wusste.«
    Mit dem kleinen Finger fischte Cassandra ein Stück eines heruntergefallenen Blatts aus ihrem Tee.
    »Meinen Sie nicht, dass es ein Geschenk ist, wenn man nur nach vorn und nie zurückschauen kann?«
    Sie tat, als untersuchte sie das gerettete Blatt. »In manchen Fällen ja.«
    »In den meisten Fällen.«
    »Aber gar nichts über seine Vergangenheit zu wissen, ist doch schrecklich, oder?«
    »Warum?«
    Verstohlen schielte sie zu ihm hinüber, um festzustellen, ob er das wohl ernst meinte. Aber sein Gesichtsausdruck war ernst. »Weil es dann so wäre, als hätte es die Vergangenheit gar nicht gegeben.«
    »Aber es hat sie gegeben, daran kann man nichts ändern.«
    »Richtig, aber man würde sich nicht daran erinnern.«
    »Na und?«
    »Na ja …« Cassandra warf das Blatt weg und zuckte die Achseln. »Man braucht doch Erinnerungen, um die Vergangenheit am Leben zu halten.«
    »Genau das sage ich ja: Ohne Erinnerungen könnte man einfach sein Leben genießen.«
    Cassandras Wangen wurden ganz heiß, was sie zu verbergen suchte, indem sie einen Schluck Tee trank. Dann noch einen.
Wollte Christian ihr nahelegen, die Vergangenheit zu vergessen? Dass Nell und Ben das taten, daran hatte sie sich inzwischen gewöhnt, sie hatte gelernt, ernst zu nicken, wenn eine der Tanten ähnliche Überlegungen äußerte, aber das hier war etwas anderes. Sie hatte sich so gut gefühlt, so viel leichter als gewöhnlich, klarer und weniger verwirrt. Sie hatte sich wohlgefühlt. Sie fragte sich, wann genau er sie als hoffnungslosen Fall eingestuft hatte, der Hilfe brauchte. Die ganze Situation war ihr peinlich, und irgendwie war sie enttäuscht.
    Sie trank noch einen Schluck Tee und schaute Christian aus dem Augenwinkel an. Er war damit beschäftigt, welke Blätter mit einem spitzen Stöckchen aufzuspießen. Cassandra beobachtete ihn. Sie konnte seinen Gesichtsausdruck nicht deuten. Er wirkte gedankenverloren, mehr noch, er erschien ihr irgendwie abwesend und einsam.
    »Christian …«
    »Ich bin Nell einmal begegnet, wissen Sie?«
    Cassandra war wie vom Donner gerührt. »Meiner Großmutter Nell?«
    »Ich nehme an, dass sie es war. Jedenfalls wüsste ich nicht, wer es sonst gewesen sein sollte, und das Datum kommt ungefähr hin. Damals war ich elf, es muss also 1975 gewesen sein. Ich war hierhergekommen, um allein zu sein, und wollte gerade durch das Loch in der Mauer kriechen, als mich jemand am Fuß packte. Erst dachte ich, dass

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