Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der verborgene Garten - Der verborgene Garten - The Forgotten Garden

Titel: Der verborgene Garten - Der verborgene Garten - The Forgotten Garden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Morton
Vom Netzwerk:
unwahrscheinlicher, dass jemand auf die Idee kam, ihn hier aufzusuchen. Endlich konnte er frei atmen. Der Winter im Haus mit Roses Eltern und der Bedürftigkeit seiner
Frau, die ihm schier die Luft zum Atmen raubte, war erdrückend gewesen. Ihr Kummer und ihre Enttäuschung hatten die Wände, die Teppiche, die Stores durchdrungen. Es war ein Totenhaus: Linus, der sich in seiner Dunkelkammer einschloss, Rose, die sich in ihrem Schlafzimmer verkroch, Adeline, die in den Korridoren lauerte.
    Nathaniel beugte sich vor, betrachtete das fahle Sonnenlicht, das durch das Laub des Rhododendronbuschs fiel. Es juckte ihn in den Fingern, am liebsten hätte er gleich versucht, das faszinierende Spiel von Licht und Schatten einzufangen. Aber er hatte keine Zeit. Vor ihm auf der Staffelei stand das unfertige Porträt von Lord Mackelby, der Bart war fertig, die geröteten Wangen, die gefurchte Stirn, nur die Augen fehlten noch. An der Aufgabe, Augen in Öl zu malen, scheiterte Nathaniel jedes Mal.
    Er wählte einen Pinsel aus und entfernte ein loses Haar. Als er gerade die Farbe auftragen wollte, spürte er ein Kribbeln im Arm, sein merkwürdiger sechster Sinn, der ihm sagte, dass es aus war mit der Einsamkeit. Er blickte sich um. Siehe da, ein Diener stand hinter ihm. Nathaniels Nackenhaare sträubten sich.
    »Himmelherrgott, Mann«, sagte er. »Schleichen Sie sich gefälligst nicht so an. Wenn Sie mir etwas zu sagen haben, treten Sie vor mich hin. Was soll diese Heimlichtuerei?«
    »Lady Mountrachet lässt ausrichten, dass die Kutsche nach Tremayne Hall heute Nachmittag um zwei Uhr abfährt, Sir.«
    Nathaniel fluchte innerlich. Tremayne Hall hatte er ganz vergessen. Schon wieder irgendwelche von Adelines reichen Freunden, die ihre Wände mit dem eigenen Abbild zu schmücken wünschten. Wenn er richtig Glück hatte, wurde womöglich auch noch gewünscht, dass er ein Porträt der drei kleinen, putzigen Hunde der Hausherrin malte!
    Wenn er nur daran zurückdachte, wie begeistert er anfangs gewesen war, wenn Adeline ihn wieder einmal in ein Haus eingeführt hatte, wie er es genossen hatte, dass sein Status stieg wie das
Segel an einem neuen Schiff. Er war ein blinder Narr gewesen, hatte nicht geahnt, welchen Preis er für diese Art von Erfolg würde zahlen müssen. Er bekam zwar immer mehr Aufträge, aber seine Kreativität hatte in gleichem Maß nachgelassen. Er produzierte Porträts mit einer Zuverlässigkeit wie diese neuen Massenproduktionsfabriken, von denen die Geschäftsleute immer sprachen und sich dabei vergnügt die Hände rieben. Keine Zeit, um Luft zu holen, seine Technik zu verbessern, neue Methoden auszuprobieren. Seine Werke waren nicht die eines Künstlers, seine Pinselstriche drückten weder Würde noch Menschlichkeit aus.
    Das Schlimmste war, dass er bei all der Porträtmalerei gar nicht mehr dazu kam, sich seiner wahren Leidenschaft, dem Zeichnen, zu widmen. Seit er auf Blackhurst lebte, hatte er nur eine einzige Zeichnung angefertigt und ein paar Skizzen des Hauses und seiner Bewohner. Seine Hände, sein Geschick, seine Inspiration, alles war verkümmert.
    Inzwischen war ihm klar, dass er die falsche Entscheidung getroffen hatte. Wenn er nur auf Rose gehört und nach der Hochzeit ein eigenes Haus für sie beide gesucht hätte, wäre vielleicht alles anders gekommen. Dann wären sie inzwischen womöglich eine glückliche und zufriedene kleine Familie, und seine Fingerspitzen wären bereit für kreatives Schaffen.
    Vielleicht wäre aber auch alles genauso wie jetzt. Sie würden dieselben Qualen erleiden, nur unter weniger erdrückenden Umständen. Und das war der Haken. Wie konnte man von einem Mann, der als Junge in Armut gelebt hatte, erwarten, dass er sich für den weniger glanzvollen Weg entschied?
    Und jetzt hatte Adeline wie Eva im Paradies angefangen, von der Möglichkeit zu flüstern, den König persönlich zu porträtieren. Obwohl er das Porträtieren leid war, obwohl er sich selbst dafür verabscheute, seine Leidenschaft so verraten zu haben, lief ihm allein bei dem Gedanken ein Schauer über den Rücken.

    Er legte seinen Pinsel beiseite und rieb einen Farbfleck von seinem Daumen. Wollte sich gerade zum Mittagessen begeben, als sein Blick auf seine Mappe fiel. Er warf einen kurzen Blick in Richtung Haus, dann nahm er die geheimen Zeichnungen heraus. Seit zwei Wochen, seit er unter Roses Sachen die Märchen ihrer Cousine Eliza entdeckt hatte, arbeitete er nun schon in unregelmäßigen Abständen daran.

Weitere Kostenlose Bücher