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Der verborgene Garten - Der verborgene Garten - The Forgotten Garden

Titel: Der verborgene Garten - Der verborgene Garten - The Forgotten Garden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Morton
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Erde zu tauchen, die Verheißungen einer neuen Jahreszeit an den Fingerspitzen zu spüren.
    Danach war sie den ganzen langen Weg zurückgegangen. Es war ein kühler Tag, dünne Wolken zogen in den höheren Luftschichten ihre schnelle Bahn, und nach der feuchten Wärme im Gewächshaus fühlte die frische Brise sich angenehm an im Gesicht. In der Nähe des Hauses musste sie wie immer an ihre Cousine denken. Mary hatte ihr berichtet, dass Rose in letzter Zeit sehr niedergeschlagen war, und obwohl Eliza nicht damit rechnete, zu ihr vorgelassen zu werden, konnte sie nicht umhin, es wenigstens zu versuchen. Sie klopfte an die Dienstbotentür und wartete, bis jemand öffnete.
    »Guten Tag, Sally. Ich bin gekommen, um Rose zu besuchen.«
    »Das geht nicht, Miss Eliza«, sagte Sally mit einem mürrischen Gesicht. »Mrs Walker ist gerade sehr beschäftigt und für Gäste nicht zu sprechen.« Wie mechanisch leierte sie die Worte herunter.
    »Komm schon, Sally«, sagte Eliza mit einem gequälten Lächeln. »Ich bin doch kein Gast. Wenn du Rose Bescheid sagst, dass ich hier bin …«
    Aus dem Hausinneren ertönte Tante Adelines Stimme: »Sally hat vollkommen recht. Mrs Walker ist beschäftigt.« Die wie eine dunkle Sanduhr geformte Gestalt tauchte aus dem Schatten auf. »Wir werden in Kürze zu Mittag essen. Wenn du eine Visitenkarte hinterlassen möchtest, wird Sally Mrs Walker ausrichten, dass du um einen Gesprächstermin gebeten hast.«
    Sally senkte den Kopf, ihre Wangen waren gerötet. Zweifellos war irgendetwas vorgefallen, und Eliza würde später von Mary die Einzelheiten erfahren. Ohne Mary und deren regelmäßige Berichte würde Eliza kaum noch etwas von dem mitbekommen, was im Haus vor sich ging.
    »Ich habe keine Visitenkarten«, erwiderte Eliza. »Würdest du Rose bitte ausrichten, dass ich hier war, Sally? Sie weiß, wo sie mich finden kann.«
    Mit einem Nicken in Richtung ihrer Tante wandte Eliza sich zum Gehen. Als sie den großen Rasen überquerte, drehte sie sich noch einmal kurz um und schaute zum Fenster von Roses neuem Schlafzimmer hinauf, das im Licht der Frühlingssonne weißlich glänzte. Mit einem Mal musste sie wieder an Davies’ Messer denken, und ein Schauer lief ihr über den Rücken: Wie mühelos man mithilfe eines hinreichend scharfen Messers Teile von einer Pflanze abschneiden konnte, ohne dass auch nur der kleinste Hinweis auf die frühere Verbindung blieb …
    Eliza ging am Springbrunnen vorbei und weiter, bis sie die Gartenlaube erreichte. Wie so häufig neuerdings waren Nathaniels Malutensilien dort aufgebaut. Er selbst war nirgendwo zu
sehen, wahrscheinlich war er zum Mittagessen ins Haus gegangen, aber er hatte ein paar Blätter mit Zeichnungen an der Staffelei befestigt.
    Eliza erstarrte.
    Die Zeichnungen waren unverkennbar.
    Betroffen erkannte sie, dass auf dem Zeichenpapier die Produkte ihrer eigenen Fantasie Gestalt angenommen hatten. Figuren, die bisher nur in ihrem Kopf herumgespukt waren, hatten sich wie durch Zauberhand in gezeichnete Bilder verwandelt. Eliza lief es zugleich heiß und kalt über den Rücken.
    Sie trat näher an die Staffelei heran. Ließ ihren Blick über die Zeichnungen wandern. Unwillkürlich musste sie lächeln. Es war, als würde einem ein eingebildeter Freund plötzlich leibhaftig gegenüberstehen. Die Gestalten waren denen in ihrer Vorstellung so ähnlich, dass sie sie auf der Stelle erkannte, und dennoch sahen sie irgendwie anders aus. Die von seiner Hand geschaffenen Figuren wirkten düsterer als in ihrer Fantasie, stellte sie fest, und das gefiel ihr. Ohne nachzudenken, löste sie die Blätter von der Staffelei.
    Dann eilte sie nach Hause - durchs Labyrinth, durch den geheimen Garten, durch das Tor in der Mauer -, konnte an nichts anderes denken als an die Bilder. Wann hatte er sie gezeichnet? Warum? Was hatte er damit vor? Erst als sie ihre Jacke und ihren Hut im kleinen Flur des Cottage an die Garderobe hängte, fiel ihr der Brief wieder ein, den sie kürzlich von dem Londoner Verleger erhalten hatte. Mr Hobbins hatte sein Schreiben mit einem großen Lob für ihre Geschichten begonnen. Er habe eine kleine Tochter, schrieb er, die stets mit angehaltenem Atem auf das nächste Märchen von Eliza Makepeace wartete. Schließlich hatte er ihr nahegelegt, doch eine mit Illustrationen versehene Sammlung herauszugeben, und sie gebeten, sich an ihn zu wenden, wenn es so weit war.
    Zwar hatte Eliza sich geschmeichelt gefühlt, aber sie war dennoch
nicht gänzlich

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