Der verborgene Garten - Der verborgene Garten - The Forgotten Garden
Adligen damals denselben alten Knacker konsultiert, der schon Großonkel Finnegan als Kind behandelt hatte, aber aus irgendeinem Grund hat Adeline Ebenezer Matthews ans Krankenbett ihrer Tochter gerufen. Der Doc muss sich von Anfang an gut mit Adeline verstanden haben, denn von da an hat er Rose immer behandelt, und zwar sogar noch, nachdem sie schon verheiratet war.«
»Aber woher wissen Sie das? Wie ist Ihre Freundin an diese Informationen gekommen?«
»Damals haben die meisten Ärzte darüber Buch geführt, wen sie behandelt haben, wer ihnen Geld schuldete, über die Medikamente, die sie verschrieben, Artikel, die sie veröffentlicht haben und so weiter. Viele von diesen mit Aufzeichnungen gefüllten Büchern wurden später von den Nachkommen der Ärzte an Bibliotheken verschenkt oder verkauft.«
Sie hatten das Ende der Straße erreicht, wo der Schotter dem Grasland wich, und Christian hielt auf dem schmalen Parkstreifen am Aussichtspunkt. Der Wind hatte zugenommen, und kleine Wasservögel kauerten verdrießlich auf den Vorsprüngen der Klippe. Christian schaltete den Motor ab und schaute Cassandra
an. »In den letzten zehn Jahren des neunzehnten Jahrhunderts ist Doktor Matthews zu einigem Ansehen gekommen. Anscheinend war er mit seiner Rolle als Landarzt nicht zufrieden, obwohl seine Patientenkartei das reinste Who’s who der gehobenen Kreise hier in der Gegend war. Er hat angefangen, zu verschiedenen medizinischen Themen Aufsätze zu veröffentlichen. Ich brauchte diese Aufsätze nur mit den Aufzeichnungen aus seiner Praxis zu vergleichen, um rauszufinden, dass mit Miss RM Rose Mountrachet gemeint war. Ab 1896 wird sie immer wieder erwähnt.«
»Was ist denn in dem Jahr passiert?« Cassandra merkte, dass sie vor lauter Aufregung den Atem anhielt.
»Im Alter von acht Jahren hat Rose einen Fingerhut verschluckt.«
»Warum das denn?«
»Keine Ahnung, ich nehme an, es war ein Unfall, aber das spielt auch keine Rolle. Es war nichts Besonderes - Kinder verschlucken alles Mögliche aus Versehen, Münzen zum Beispiel. Aber die kommen irgendwann unten wieder raus, wenn man nur lange genug wartet.«
Cassandra schaute ihn mit großen Augen an. »Aber Doktor Matthews hat nicht gewartet, sondern eine Operation durchgeführt.«
Christian schüttelte den Kopf. »Noch schlimmer.«
Cassandras Magen zog sich zusammen. »Was hat er denn getan?«
»Er hat ein Röntgenbild anfertigen lassen, mehrere sogar, und dann hat er die Bilder in der Zeitschrift The Lancet veröffentlicht.« Christian langte auf den Rücksitz, zog eine Fotokopie aus einer Mappe und reichte sie Cassandra.
Sie warf einen Blick auf den Artikel und zuckte die Achseln. »Na und? Was ist daran verwerflich?«
»Das Schlimme ist nicht die Tatsache, dass er sie hat röntgen lassen, sondern die Strahlenmenge, der er sie ausgesetzt hat.« Er
zeigte auf einen Streifen am oberen Rand der Seite. »Doktor Matthews hat Rose sechzig Minuten lang durchleuchten lassen. Ich schätze, er wollte auf Nummer sicher gehen, dass er ein gutes Bild bekam.«
Plötzlich spürte Cassandra, wie die Kälte von draußen durch das geschlossene Fenster hereinkroch. »Aber was bedeutet das?«
»Röntgenbilder entstehen durch Strahlung. Ist Ihnen noch nie aufgefallen, wie Ihr Zahnarzt, wenn er ein Röntgenbild von Ihren Zähnen anfertigt, fluchtartig den Raum verlässt, ehe er auf den Knopf drückt? Wenn Doktor Matthews und sein Fotograf sie eine ganze Stunde lang durchleuchtet haben, dann haben sie ihre Eierstöcke und alles, was sich darin befand, restlos verbrannt.«
»Ihre Eierstöcke?« Cassandra starrte Christian entgeistert an. »Aber wie ist sie dann schwanger geworden?«
»Genau das versuche ich ja, Ihnen zu sagen. Sie war nie schwanger. Zumindest hätte sie unmöglich ein gesundes Kind zur Welt bringen können. Seit 1896 war Rose Mountrachet vollkommen unfruchtbar.«
41 Cliff Cottage Cornwall, 1975
Der Vertrag trat zwar erst einen Monat nach Unterschrift in Kraft, aber die junge Julia Bennett war sehr entgegenkommend gewesen. Als Nell darum gebeten hatte, schon früher in das Cottage gehen zu dürfen, hatte sie ihr mit einem Schlenker ihres schmuckbeladenen Handgelenks den Schlüssel überreicht. »Kein Problem«, sagte sie, während die Klunker klimperten. »Fühlen Sie sich wie zu Hause. Der Schlüssel ist so schwer, dass ich froh bin, ihn aus der Hand geben zu können.«
Der Schlüssel war tatsächlich schwer. Er war groß und aus
massivem Messing, mit einem
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