Der verborgene Garten - Der verborgene Garten - The Forgotten Garden
wieder zurück, als Ivory zusammenzuckte, die kleine Nase krauszog und sich noch tiefer in den Sitz kuschelte.
So lächerlich es ihr auch erschien, aber Eliza meinte etwas von Rose in dem Kind zu sehen, Rose als kleines Mädchen, als Eliza sie kennengelernt hatte …
Die Zeit wollte einfach nicht vergehen, als Adeline auf Daisys Rückkehr wartete. Es war Elizas Schuld, dass Rose tot war. Ihr ungebetener Besuch hatte dafür gesorgt, dass die Reise nach New York übereilt beschlossen worden war und deshalb die Fahrt nach Schottland vorgezogen werden musste. Hätte Eliza sich wie vereinbart von Blackhurst ferngehalten, hätte Rose nie in diesem Zug gesessen.
Adeline fuhr zusammen, als die Tür geöffnet wurde. Endlich war Daisy zurück. Sie hatte Blätter im Haar, und ihr Rock war am Saum mit Schlamm beschmutzt, aber sie war allein.
»Wo ist sie?«, fragte Adeline. Hatte sie sich womöglich bereits auf die Suche gemacht? Hatte Daisy ausnahmsweise einmal ihren
Verstand benutzt und Eliza auf direktem Weg in die Bucht geschickt?
»Ich weiß es nicht, Ma’am.«
»Du weißt es nicht?«
»Als ich beim Cottage ankam, war alles abgeschlossen. Ich hab durch alle Fenster gelugt, aber es war nichts zu sehen.«
»Du hättest eine Weile warten sollen. Vielleicht ist sie im Dorf und wäre bald zurückgekommen.«
Daisy war so unverschämt, den Kopf zu schütteln. »Das glaub ich nicht, Ma’am. Der Kamin war sauber gefegt, und die Regale waren leer.« Daisy blinzelte wie eine Kuh. »Ich glaube, sie ist fort, Ma’am.«
Da begriff Adeline. Und das Verstehen schlug in unbändige Wut um.
»Ist Ihnen nicht gut, Mylady? Möchten Sie sich hinsetzen?«
Nein, Adeline brauchte sich nicht zu setzen. Im Gegenteil. Sie musste mit eigenen Augen nachsehen. Sich von der Undankbarkeit dieser Person überzeugen.
»Führ mich durch das Labyrinth, Daisy.«
»Ich kenne den Weg durch das Labyrinth nicht, Ma’am. Den kennt niemand außer Davies. Ich bin die Straße entlanggegangen und über den Pfad an der Klippe.«
»Dann sag Newton Bescheid, er soll die Kutsche vorfahren lassen.«
»Aber es wird bald dunkel, Ma’am.«
Adelines Augen verengten sich zu Schlitzen, als sie sich zu voller Größe aufrichtete. »Sag Newton Bescheid und bring mir eine Laterne. Auf der Stelle.«
Das Cottage war aufgeräumt , aber nicht leer. In der Küche hingen noch immer verschiedene Kochutensilien, aber der Tisch war sauber gewischt. Am Kleiderhaken neben der Tür hing kein Mantel.
Adeline wurde schwindlig, und sie bekam kaum noch Luft. Immer noch spürte sie die Gegenwart dieser Person, schwer und erdrückend. Sie hielt die Laterne hoch und stieg die schmale Treppe hinauf. Oben gab es zwei Zimmer, spartanisch eingerichtet, aber sauber. In dem einen stand das Bett vom Dachboden, darauf ein alter Quilt, ordentlich glatt gestrichen. In dem anderen standen ein Schreibtisch, ein Stuhl und ein mit Büchern gefülltes Regal. Alle Gegenstände auf dem Schreibtisch waren säuberlich gestapelt. Adeline stützte sich mit den Fingerspitzen auf dem Schreibtisch ab und beugte sich vor, um aus dem Fenster zu sehen.
Das letzte Abendlicht spiegelte sich in rotem Glanz auf dem Meer, und die fernen Wellen hoben und senkten sich und schimmerten golden und purpurrot.
Rose ist tot.
Der Gedanke kam wie aus dem Nichts.
Hier, endlich allein und unbeobachtet, konnte Adeline für einen Moment aufhören, ihre Rolle zu spielen. Sie schloss die Augen, und ihre Schultern entspannten sich.
Sie wünschte, sie könnte sich einfach auf dem Boden zusammenrollen, die kühlen Holzdielen an der Wange spüren und nie wieder aufstehen. In einen hundertjährigen Schlaf sinken. Nie wieder ein Vorbild sein müssen. Frei atmen können …
»Lady Mountrachet?«, rief Newton von unten. »Es wird dunkel, Mylady. Die Pferde werden auf dem steilen Weg scheuen, wenn wir nicht bald aufbrechen.«
Adeline holte tief Luft. Gleich würde sie sich wieder im Griff haben. »Ich komme sofort.«
Sie öffnete die Augen und legte eine Hand an die Stirn. Rose war tot, und von dem Verlust würde Adeline sich nie wieder erholen, aber es galt, andere Gefahren abzuwenden. Einerseits wäre es Adeline am liebsten gewesen, wenn Eliza und Ivory einfach aus ihrem Leben verschwinden würden, aber die Sache war etwas
komplizierter. Wenn die beiden vermisst wurden, und sie waren garantiert gemeinsam unterwegs, musste Adeline damit rechnen, dass die Leute im Dorf die Wahrheit erfuhren. Dass Eliza
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