Der verborgene Garten - Der verborgene Garten - The Forgotten Garden
den Mund nicht halten würde. Und das musste unter allen Umständen verhindert werden. Um der Erinnerung an Rose willen, um des guten Namens der Familie Mountrachet willen musste Eliza gefunden, zurückgeholt und zum Schweigen gebracht werden.
Als Adeline noch einmal die Gegenstände auf dem Schreibtisch betrachtete, fiel ihr ein Zettel auf, der unter einem Bücherstapel hervorlugte. Ein Wort stand darauf, das sie schon einmal gesehen zu haben meinte. Sie zog den Zettel heraus. Es handelte sich anscheinend um eine Liste von Dingen, die Eliza vor ihrer Abreise erledigen wollte. Ganz unten auf der Liste stand: Swindell . Wahrscheinlich ein Name, dachte Adeline, auch wenn sie nicht sagen konnte, wie sie darauf kam.
Ihr Herz begann zu pochen. Sie faltete den Zettel zusammen und steckte ihn ein. Auch wenn sie noch nicht genau wusste, woher sie den Namen kannte, war sie sich ganz sicher, dass sie die Spur gefunden hatte, die sie brauchte. Sie würde Eliza finden, und das Kind, Roses Tochter, würde dorthin zurückgebracht werden, wo es hingehörte.
Und Adeline wusste genau, mit wessen Hilfe sie das bewerkstelligen konnte.
46 Polperro Cornwall, 2005
Claras kleines, weißes Cottage klammerte sich an einen steilen Felshang und lag nur einen kurzen Fußmarsch den Hügel hinauf von einem Pub namens Der Seeräuber entfernt.
»Wollen Sie uns vorstellen?«, fragte Christian, als sie vor der Haustür standen.
Cassandra nickte, klopfte jedoch nicht. Plötzlich war sie nervös. Hinter dieser Tür wohnte die lange verschollen geglaubte Schwester ihrer Großmutter. Schon in wenigen Augenblicken würde das Rätsel, das Nell fast ihr ganzes Leben lang gequält hatte, gelöst werden. Cassandra warf Christian einen Blick zu und dachte noch einmal, wie froh sie war, dass er sie begleitete.
Nachdem Ruby am Morgen nach London abgereist war, hatte Cassandra auf den Stufen des Hotels auf ihn gewartet, das Buch mit Elizas Märchen fest umklammert. Er hatte sein Exemplar ebenfalls mitgebracht, und sie stellten fest, dass in Cassandras Ausgabe tatsächlich eine Geschichte fehlte. Die Lücke in der Bindung war so schmal, der Schnitt so sauber, dass sie es vorher nicht bemerkt hatte. Nicht einmal die fehlenden Seitenzahlen waren ihr aufgefallen. Die Zahlen waren so schwungvoll ausgeführt, dass man schon ein Schriftexperte sein musste, um auf den ersten Blick den Unterschied zwischen 57 und 61 zu entdecken.
Auf der Fahrt nach Polperro hatte Cassandra Das goldene Ei laut vorgelesen und war immer mehr zu der Überzeugung gelangt, dass Christian recht hatte und die Geschichte tatsächlich eine Allegorie auf Roses Aneignung von Marys Tochter darstellte. Inzwischen glaubte sie mit ziemlicher Sicherheit zu wissen, was Clara ihr erzählen wollte.
Die arme Mary, gezwungen, ihr erstes Kind abzugeben und das dann auch noch geheim zu halten. Kein Wunder, dass sie sich auf dem Sterbebett ihrer Tochter anvertraut hatte. Ein verlorenes Kind verfolgte eine Mutter ein Leben lang.
Leo wäre jetzt schon fast zwölf.
»Alles in Ordnung?« Christian musterte sie stirnrunzelnd.
»Ja«, erwiderte Cassandra und schob ihre Erinnerungen beiseite. »Alles in Ordnung.« Und als sie ihn anlächelte, kam es ihr weniger erzwungen als sonst vor.
Sie hob die Hand und wollte gerade den Klopfer betätigen, als die Tür auch schon aufgerissen wurde. Im niedrigen, engen Türrahmen stand eine beleibte alte Frau in einer um die Taille gebundenen Schürze, die ihre Figur wie aus zwei Teigbällen geformt aussehen ließ. »Ich habe Sie hier stehen sehen«, sagte sie grinsend, »und da habe ich mir gesagt: ›Das müssen meine jungen Gäste sein.‹ Jetzt kommen Sie erst mal rein, ich mach uns einen schönen heißen Tee.«
Christian und Cassandra setzten sich nebeneinander auf das geblümte Sofa und schoben die Patchworkkissen von einer Ecke in die andere, um Platz zu schaffen. Christian wirkte so hoffnungslos überdimensioniert in diesem wie eine Puppenstube eingerichteten Zimmer, dass Cassandra sich das Lachen verkneifen musste.
Auf einer Schiffstruhe thronte eine gelbe Teekanne, umhüllt von einem gestrickten Teewärmer in Form einer Henne, die Clara auf bemerkenswerte Weise ähnelte, wie Cassandra fand: kleine, wache Augen, draller Körper und ein spitzer, kleiner Mund.
Clara holte eine dritte Tasse und schenkte durch ein Sieb Tee ein. »Meine eigene Spezialmischung«, sagte sie. »Drei Teile Breakfast, ein Teil Earl Grey.« Sie lugte über ihre Brille mit
Weitere Kostenlose Bücher