Der verborgene Garten - Der verborgene Garten - The Forgotten Garden
gesprochen.« Ben schüttelte den Kopf, doch Cassandra ließ nicht locker: »Aber als sie zurückkam, als du endlich deinen Schreibtisch abholen konntest, hast du sie da nicht gefragt, warum sie so plötzlich verschwunden ist?«
»Klar hab ich sie gefragt, jahrelang bin ich immer wieder darauf zurückgekommen. Ich wusste, dass es etwas Wichtiges gewesen sein musste, denn als sie zurückkam, hatte sie sich verändert.«
»Inwiefern?«
»Sie war irgendwie abwesend, geheimnistuerisch. Und ich bin mir sicher, dass ich das nicht nur im Nachhinein so sehe. Ein paar Monate später wäre ich beinahe dahintergekommen, was los war. Ich war gerade zu Besuch in ihrem Laden, als sie einen Brief mit Poststempel aus Truro erhielt. Ich hatte zufällig den Briefträger vor der Tür getroffen, da hab ich ihr den Brief mit reingenommen. Sie hat sich bemüht, sich ganz lässig zu geben, aber mittlerweile kannte ich sie ein bisschen besser und ich habe genau gespürt, dass sie völlig aus dem Häuschen war wegen des Briefs. Sie konnte es gar nicht erwarten, mich unter irgendeinem Vorwand loszuwerden.«
»Was für ein Brief war das denn? Von wem kam er?«
»Ich muss gestehen, dass die Neugier mich übermannt hat. Den Brief selbst hab ich nicht gelesen, aber bei einer anderen Gelegenheit, als der Umschlag auf ihrem Schreibtisch lag, hab ich ihn umgedreht, um zu sehen, woher er kam. Ich hab mir den Absender gemerkt und später einen ehemaligen Kollegen in England
gebeten, ein paar Nachforschungen für mich anzustellen. Der Absender war ein Ermittler.«
»Du meinst, so etwas wie ein Privatdetektiv?«
Ben nickte.
»So was gibt es wirklich?«
»Sicher.«
»Aber was kann Nell von einem englischen Detektiv gewollt haben?«
Ben zuckte die Achseln. »Keine Ahnung. Ich nehme an, es gab ein Geheimnis, dem sie auf den Grund gehen wollte. Eine Zeit lang hab ich versucht, mithilfe von Anspielungen etwas aus ihr herauszulocken, aber es war zwecklos. Irgendwann hab ich’s dann aufgegeben und mir gesagt, jeder hat das Recht auf ein Geheimnis, und Nell würde mir schon davon erzählen, wenn sie es für angebracht hielte. Eigentlich hatte ich auch ein schlechtes Gewissen wegen meiner Schnüffelei.« Er schüttelte den Kopf. »Ich muss zugeben, ich würde es zu gern wissen, es hat mich einfach so lange beschäftigt, und das hier …« Er wedelte mit der Besitzurkunde. »Das setzt dem Ganzen die Krone auf. Selbst jetzt schafft deine Großmutter es noch, mich völlig zu verblüffen.«
Cassandra nickte abwesend. Sie war mit den Gedanken woanders, versuchte, Zusammenhänge herzustellen. Dass Ben die ganze Zeit von Rätseln redete, seine Vermutung, dass Nell wahrscheinlich versucht hatte, eins zu lösen, hatte sie ins Grübeln gebracht. All die Geheimnisse, die seit dem Tod ihrer Großmutter aufgetaucht waren, begannen, sich zu einem Bild zusammenzufügen: Nells rätselhafte Herkunft, ihre Ankunft als Kind allein in einem Überseehafen, der Koffer, die mysteriöse Reise nach England, dieses geheimnisvolle Haus …
»Na ja.« Ben schüttete den Rest seines Tees in einen Topf mit Nells roten Geranien. »Ich muss mich auf die Socken machen. In einer Viertelstunde kommt ein Kunde, der sich eine Anrichte aus Mahagoni ansehen will, und ich wäre froh, diesen alten Ladenhüter
endlich loszuwerden. Soll ich irgendwas für dich erledigen, wenn ich schon mal im Antiquitätenzentrum bin?«
Cassandra schüttelte den Kopf. »Ich fahre am Montag selbst rüber.«
»Das hat alles keine Eile, Cass. Ich hab dir ja neulich schon gesagt, dass es mir nichts ausmacht, mich um deinen Stand zu kümmern, solange es nötig ist. Falls irgendwas an Geld reingekommen ist, bringe ich es dir heute Nachmittag vorbei, sobald ich Feierabend mache.«
»Danke Ben«, sagte sie. »Für alles.«
Er nickte, stand auf, klappte den Liegestuhl zusammen und stellte ihn zurück an seinen Platz. Die Besitzurkunde schob er unter die Teetasse und wandte sich zum Gehen. An der Hausecke blieb er noch einmal stehen und drehte sich um. »Pass gut auf dich auf, hörst du? Damit du nicht fortgepustet wirst, wenn der Wind noch heftiger wird.«
Er wirkte ehrlich besorgt, und Cassandra fiel es schwer, seinem Blick standzuhalten. In seinen Augen war allzu deutlich zu erkennen, was er dachte, und sie konnte es kaum ertragen, zu sehen, wie er sich daran erinnerte, wie sie früher einmal gewesen war.
»Cass?«
»Ich passe schon auf mich auf.« Sie winkte ihm zum Abschied zu und lauschte dem sich
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