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Der verborgene Garten - Der verborgene Garten - The Forgotten Garden

Titel: Der verborgene Garten - Der verborgene Garten - The Forgotten Garden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Morton
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Informationen über ihre Vergangenheit preisgegeben, aber einmal hatte sie Eliza erzählt, dass ihr Vater an einer anderen Biegung desselben Flusses aufgewachsen war. Dass er seine Seemannsknoten auf einem Kohlenschiff gelernt hatte, bevor er auf einem anderen Schiff angeheuert hatte und zur See gefahren war. Eliza malte sich gern aus, was er an seiner Flussbiegung alles gesehen haben mochte, in der Nähe des Execution Docks, wo die Galgen standen. Wo Piraten an Ketten aufgehängt wurden, bis die Gezeiten sie dreimal hintereinander überschwemmt hatten und sie den Hempen Jig tanzten, so hatten die Leute das früher genannt.
    Eliza erschauerte, stellte sich die leblosen Körper vor, fragte sich, wie es sich wohl anfühlte, den letzten Atemzug zu tun, der einem aus dem Hals gewürgt wurde, dann schalt sie sich selbst dafür, dass sie sich ablenken ließ. Das war genau der Fehler, dem Sammy meist zum Opfer fiel. Was Sammy betraf, war das ja in Ordnung, aber Eliza wusste, dass sie vorsichtiger sein musste.
    Wo blieben Sammys Schritte? Sie lauschte angestrengt und konzentrierte sich. Spitzte die Ohren … Möwen am Fluss, schlagende Schiffstaue, ächzende Masten, ein vorbeirollender Karren,
der Verkäufer von Fliegenfängern, der rief: »Fangt sie lebendig«, die raschen Schritte einer vorübereilenden Frau, der Zeitungsjunge, der die neuesten Nachrichten ausrief …
    Plötzlich hinter ihr ein Krachen. Ein Pferd wieherte auf. Ein Mann brüllte irgendetwas.
    Elizas Herz pochte, beinahe hätte sie sich umgedreht. Die Versuchung, nachzusehen, was da los war, war groß, aber sie beherrschte sich noch rechtzeitig. Das war gar nicht so einfach. Sie war von Natur aus neugierig, das hatte ihre Mutter auch immer gesagt und dabei den Kopf geschüttelt, mit der Zunge geschnalzt und sie ermahnt, dass sie, wenn es ihr nicht gelänge, ihre Gedanken zu bremsen, eines Tages gegen einen Berg aus ihren Fantastereien rennen würde. Aber wenn Sammy in der Nähe war und mitbekam, dass sie sich umdrehte, hatte sie verloren, und sie hatte schon fast den Fluss erreicht. Der Gestank des Themseschlamms vermischte sich mit dem schwefligen Geruch des Nebels. Der Sieg war ihr beinahe sicher, sie musste es nur noch ein Stückchen weiter schaffen.
    Irgendwo hinter ihr waren jetzt ein aufgeregtes Stimmengewirr und das Bimmeln einer näher kommenden Glocke zu hören. Wahrscheinlich hatte wieder irgendein blödes Pferd den Karren des Scherenschleifers gerammt; im Nebel drehten die Pferde immer durch. So ein Mist! Wie sollte sie Sammy bei dem Lärm hören, wenn er sie jetzt angriff?
    Die Steinmauer am Flussufer tauchte auf, nur ein verschwommener Umriss ohne feste Konturen.
    Eliza grinste und legte die letzten paar Meter rennend zurück.
    Genau genommen verstieß es gegen die Regeln loszulaufen, aber sie konnte nicht anders. Quietschend vor Vergnügen klatschte sie mit der Hand an die glitschige Mauer. Sie hatte es geschafft, sie hatte gewonnen, den Ripper wieder einmal ausgetrickst.
    Eliza zog sich auf die Mauer hoch und schaute triumphierend die Straße hinunter, aus der sie gekommen war. Während sie die
Beine baumeln ließ, sodass ihre Hacken rhythmisch gegen die Mauer schlugen, wartete sie darauf, dass Sammy aus dem dichten Nebel auftauchte. Der arme Sammy. Er war bei Spielen nie so gut gewesen wie sie, brauchte länger, die Regeln zu lernen, und es fiel ihm schwer, die ihm zugewiesene Rolle auszufüllen. Sich zu verstellen, lag ihm nicht, ganz im Gegensatz zu Eliza, die als Schauspielerin ein Naturtalent war.
    Als Eliza sich von ihren Gedanken losriss, drangen die Gerüche und Geräusche der Straße wieder auf sie ein. Mit jedem Atemzug schmeckte sie den öligen Nebel, und das Glockengebimmel, das sie zuvor schon gehört hatte, wurde lauter und kam immer näher. Die Leute um sie herum wirkten auf einmal ganz aufgeregt und eilten in die Richtung, in die sie immer rannten, wenn der Sohn des Lumpensammlers wieder einmal einen epileptischen Anfall bekam oder der Leierkastenmann dem Viertel einen Besuch abstattete.
    Natürlich! Der Leierkastenmann, das war die Erklärung für Sammys Ausbleiben. Eliza sprang so hastig von der Mauer, dass sie sich den Schuh an einem vorspringenden Stein aufscheuerte.
    Sammy konnte Musik nicht widerstehen, wahrscheinlich stand er beim Leierkastenmann, bestaunte mit offenem Mund die Orgel und hatte den Ripper und das Spiel längst vergessen.
    Sie folgte den laut durcheinanderrufenden Menschen, von denen jetzt immer mehr

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