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Der verborgene Garten - Der verborgene Garten - The Forgotten Garden

Titel: Der verborgene Garten - Der verborgene Garten - The Forgotten Garden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Morton
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zusammenströmten. Die Glocke war schon ganz nahe, und plötzlich erkannte Eliza den Klang. Es war die Glocke des Ambulanzwagens. Vielleicht hatte es den Sohn des Lumpenhändlers wieder einmal erwischt.
    Dann kam der Wagen auch schon um die Flussbiegung geprescht in Richtung der Menge. Der Mann auf dem Kutschbock läutete mit der Glocke und schrie den Leuten zu, sie sollten aus dem Weg gehen und den Wagen durchlassen.
    Eliza rannte schneller. Beim Anblick des Ambulanzwagens hatte eine undefinierbare Angst sie gepackt, und sie schob sich mit
wild pochendem Herzen durch die Menschenmenge. Elegante Damen in Ausgehkleidern, Herren im Frack, Straßenjungen, Waschfrauen, Büroangestellte. Unter Einsatz ihrer Ellbogen kämpfte sie sich vorwärts, nur von dem einen Gedanken beseelt, Sammy zu finden. Von weiter vorn drangen die ersten Informationen zu ihr durch. Eliza schnappte Fetzen auf von dem, was sich die Leute um sie herum über ihren Kopf hinweg aufgeregt zuflüsterten: ein schwarzes Pferd war plötzlich aus dem Nebel aufgetaucht; ein kleiner Junge, der es nicht hatte kommen sehen; der furchtbare Nebel …
    Nicht Sammy, redete sie sich ein, es konnte nicht Sammy sein. Er war doch direkt hinter ihr gewesen, sie hatte auf seine Schritte gelauscht …
    Sie näherte sich dem Ort des Geschehens, konnte beinahe schon etwas erkennen im dichten Nebel. Mit angehaltenem Atem drängte sie sich durch die erste Reihe der Schaulustigen, bis sie die grausige Szene vor sich sah. Sie nahm alles mit einem Blick wahr, begriff auf der Stelle. Das schwarze Pferd, der Sanitäter, der auf dem Boden kniete, der schmächtige Körper des Jungen. Rötliches, blutverklebtes Haar auf dem Kopfsteinpflaster. Die Brust aufgerissen von einem Pferdehuf, die blauen Augen leer.
    Der Sanitäter schüttelte den Kopf. »Der ist hinüber. Der Kleine hatte keine Chance.«
    Eliza betrachtete das Pferd. Es war nervös, verängstigt von dem Nebel, der Menschenmenge, dem Lärm. Aus den Nüstern stieß es heiße Atemwolken aus.
    »Kennt irgendjemand den Jungen?«
    Bewegung kam in die Menge, als die Leute einander fragend anschauten, mit den Schultern zuckten und die Köpfe schüttelten.
    »Irgendwie kommt er mir bekannt vor«, sagte eine Stimme unsicher.

    Eliza fing den Blick aus den glänzenden Augen des Pferds auf. Während die Welt mit all ihren Geräuschen sich um sie zu drehen schien, stand das Pferd reglos da. Sie sahen einander an, und in diesem Augenblick hatte sie das Gefühl, es könnte in sie hineinsehen. Als erblickte es die Leere, die sich plötzlich aufgetan hatte und die sie bis an ihr Lebensende nie mehr würde füllen können.
    »Irgendwer muss ihn doch kennen«, sagte der Sanitäter.
    Schweigen legte sich über die Menge, was die Atmosphäre noch unheimlicher machte.
    Eigentlich müsste sie diesen schwarzen Gaul hassen, dachte Eliza, seine kräftigen Beine und die glatten harten Schenkel, aber sie tat es nicht. Auge in Auge mit ihm empfand sie fast eine Art Erkennen, als würde das Pferd, wie niemand sonst es vermochte, die Leere in ihr verstehen.
    »Also gut«, sagte der Sanitäter. Auf seinen Pfiff hin sprangen zwei junge Burschen von dem Wagen. Einer hob die Leiche des Jungen hinauf, der andere kippte einen Eimer Wasser auf die Straße und begann, das blutverschmierte Pflaster zu schrubben.
    »Ich glaube, er wohnt in der Battersea Bridge Road«, sagte jemand mit langsamer, gleichmäßiger Stimme. Eine Stimme wie von einem der Männer aus der Anwaltskanzlei, nicht direkt ein feiner Pinkel, aber vornehmer als die übrigen Flussanrainer.
    Der Sanitäter hob den Blick, um festzustellen, von wem diese Erklärung gekommen war.
    Ein hochgewachsener Mann mit einem Kneifer und einem gepflegten, wenn auch abgetragenen Gehrock trat aus dem Nebel vor. »Ich habe ihn erst kürzlich dort gesehen.«
    Gemurmel setzte ein, als die Umstehenden diese Information verdauten und noch einmal einen Blick auf die übel zugerichtete Leiche des Jungen warfen.
    »Irgendeine Ahnung, in welchem Haus, Sir?«

    Der große Mann schüttelte nur den Kopf. »Das kann ich Ihnen leider nicht sagen.«
    Der Sanitäter nickte, dann gab er seinen Helfern ein Zeichen. »Wir bringen ihn in die Battersea Bridge Road und hören uns um. Irgendwer muss ihn ja kennen.«
    Das Pferd nickte Eliza dreimal zu, dann wandte es sich mit einem Seufzer ab.
    Eliza blinzelte. »Warten Sie«, sagte sie, beinahe flüsternd.
    Der Sanitäter schaute sie an. »Was gibt’s?«
    Alle starrten sie an, dieses

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