Der verborgene Garten - Der verborgene Garten - The Forgotten Garden
nass aufhängen, ohne sie vorher zu waschen, und genau das hatte sie getan. Das sparte Seife,
ganz zu schweigen von ihrer Zeit. Denn Eliza wusste Besseres zu tun, wenn so dichter Nebel herrschte - bei einem solchen Wetter konnte man sich noch besser verstecken und anschleichen.
Der Ripper war eins ihrer Lieblingsspiele. Anfangs hatte Eliza sich noch allein damit vergnügt, aber mit der Zeit hatte sie auch Sammy die Regeln beigebracht, und jetzt spielten sie abwechselnd die Rollen »Mutter« und »Ripper«. Eliza wusste selbst nicht so genau, welche Rolle sie bevorzugte. Den Ripper, dachte sie manchmal, wegen seiner Macht. Die Mischung aus Schuldbewusstsein und Erregung verursachte ihr eine Gänsehaut, wenn sie sich von hinten an Sammy heranschlich, und sie musste sich jedes Mal das Kichern verkneifen, wenn sie kurz davor war, ihn zu schnappen …
Aber die Rolle der Mutter hatte auch ihren Reiz. Schnell zu gehen, aufzupassen, sich nicht umzudrehen, sich zu beherrschen, um nicht zu laufen und dennoch schneller zu sein als die Schritte hinter ihr, während ihr Herz immer lauter klopfte, bis es alles andere übertönte und sie die Warnsignale nicht mehr hören konnte. Die Angst jagte ihr köstliche Schauer über die Haut.
Obwohl die Swindells gerade beide auf Beutejagd waren (Nebel war ein Geschenk für die Sorte Flussanwohner, die sich mit skrupellosen Mitteln durchschlugen), schlich Eliza auf leisen Sohlen die Treppe hinunter, vorsichtig darauf bedacht, die knarrende vierte Stufe zu vermeiden, denn Sarah, das Mädchen, das auf Hatty, die Tochter der Swindells, aufpasste, machte sich gern bei den Hausherren beliebt, indem sie Eliza verpetzte.
Am Fuß der Treppe blieb Eliza kurz stehen und ließ ihren Blick über die vollgestopften Regale des Ladens wandern. Der Nebel war durch die Ritzen gekrochen, hatte sich schwer über alles gelegt und bildete eine gelbliche Wolke um die flackernde Gasflamme. Sammy saß in der hinteren Ecke auf einem Hocker und putzte Flaschen, den Eliza so vertrauten Ausdruck im Gesicht, den er nur aufsetzte, wenn er seinen Tagträumen nachhing.
Nachdem sie sich kurz vergewissert hatte, dass Sarah nicht lauschte, ging Eliza auf Zehenspitzen zu ihm.
»Sammy!«, flüsterte sie.
Keine Reaktion, offenbar hatte er sie nicht gehört.
»Sammy!«
Sein Knie hörte auf zu wippen, er beugte sich vor und lugte hinter dem Tresen hervor. Die glatten Haare hingen ihm strähnig ums Gesicht.
»Draußen ist Nebel.«
Sein leerer Gesichtsausdruck sagte ihr, dass ihm das nichts Neues war. Er zuckte nur die Achseln.
»Dick wie die Brühe im Rinnstein, die Straßenlaternen sind kaum noch zu sehen. Perfekt für den Ripper.«
Damit hatte sie seine Neugier geweckt. Einen Moment lang dachte er nach, dann schüttelte er den Kopf. Zeigte auf Mr Swindells Sessel mit dem fleckigen Kissen, das an der Stelle klebte, wo sein Rücken sich Abend für Abend hineindrückte, wenn er aus der Kneipe heimkehrte.
»Der merkt doch gar nicht, dass wir nicht da sind. Der kommt noch lange nicht zurück, und sie auch nicht.«
Wieder schüttelte er den Kopf, allerdings schon etwas weniger nachdrücklich.
»Die haben den ganzen Nachmittag zu tun und lassen sich doch die Gelegenheit nicht entgehen, was zu erbeuten.« Eliza spürte, dass sein Widerstand schwand. Er war schließlich ein Teil von ihr, und sie war schon immer in der Lage gewesen, seine Gedanken zu lesen. »Komm, wir bleiben nicht lange weg. Wir gehen nur bis zum Fluss und dann kehren wir wieder um. Du darfst dir auch aussuchen, wer du sein willst.«
Das zog, sie hatte es gewusst. Sammys ernste Augen sahen sie an. Er hob die Hand, ballte sie zu einer kleinen, bleichen Faust, als würde er ein Messer umklammern.
Während Sammy an der Tür stand und die zehn Sekunden abwartete, die derjenige, der die Mutter spielte, als Vorsprung bekam, schlich Eliza sich davon. Geduckt lief sie unter Mrs Swindells vollgehängten Wäscheleinen hindurch, vorbei am Karren des Lumpensammlers und weiter in Richtung Fluss. Die Erregung ließ ihr Herz schneller schlagen. Köstlich, dieses Gefühl der Gefahr. Angst prickelte unter ihrer Haut, während sie weitereilte, vorbei an Menschen, Karren, Hunden und Kinderwagen, deren Umrisse im Nebel verschwammen. Sie hielt die Ohren gespitzt, lauschte auf Schritte, die sich von hinten anschlichen, näher und näher kamen.
Im Gegensatz zu Sammy liebte Eliza den Fluss. Er gab ihr das Gefühl, ihrem Vater nahe zu sein. Ihre Mutter hatte nicht viele
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