Der verborgene Hof: Roman (German Edition)
macht eine Frau selbst etwas aus sich.« Mutter Vajpai trat wieder vor mich.
Ihre Inspektion erinnerte mich an den Faktor, und ich wurde zornig. »Ich bin niemandes Werkzeug. Ich werde ein Schwert in niemandes Faust sein.«
»Jeder Mensch ist in jemandes Hand.« Sie beugte sich näher und sah mir in die Augen. »So will es die Schöpfung. Das Geheimnis besteht darin, zu wählen, wessen Hand die deine hält.«
»Wessen Hand hält deine, Mutter?«, fragte ich mit bitterem Sarkasmus.
Ihr Lächeln leuchtete auf wie ein Sonnenstrahl auf Elfenbein und Silber. Noch nie hatte ich solche Zähne gesehen. Ich konnte den Blick nicht von ihnen wenden. »Ich diene der Liliengöttin, meine kleine Green. Niemand benutzt mich. Kein Herrscher befiehlt mir. Keine Ratsversammlung hält mich auf.«
»Nein.« Aber ich konnte sehen, wofür sie blind war. »Deine Göttin hält dein Herz in ihrer Hand. Wer immer sie ist.«
»Du bist aus Copper Downs, mein Mädchen. Ihre Götter sind schon viel zu lange still gewesen. Die Menschen dieser Stadt gehen ihre eigenen Wege mit einer Sorglosigkeit, für die sie eines Tages zur Rechenschaft gezogen werden. Du verstehst nicht, was eine Göttin ist.«
»Eine Göttin ist eine übergroße Tulpa.«
Sie schüttelte abwehrend den Kopf. »Tulpas. Ländlicher Aberglaube. Kleine Geister, die von ungebildeten Bauern und abtrünnigen Mönchen verehrt werden.«
In meiner Vorstellung waren sie Götter im Larvenstadium. Oder uralte Götter, deren Zeit zu Ende ging. Fragmente wie in den ältesten Erzählungen.
Mutter Vajpai fuhr fort: »Nein, Green. Eine Göttin ist die Summe all ihrer Gläubigen, all der Gebete und Hoffnungen und Flüche und Verzweiflung, die je in ihrem Namen ausgesprochen wurden. Unsere Göttin umfasst das Leben von Frauen, die von der dunkelsten Nacht, in der ein Mädchen vergewaltigt und als Tote in einer Hafengasse liegen gelassen wurde, bis zum strahlenden Hochzeitstag der höchsten Prinzessin des Landes reicht. Die Hand der Liliengöttin, die mein Herz hält, ist meine eigene Hand, vertausendfacht. Wir dienen Ihr, so wie Sie uns dient. Wir sind Sie, und Sie ist wir.«
Für mich war das alles nur leeres Geschwätz wie all die Mythen aus Mistress Danaes Büchern. Götter waren real, daran bestand kein Zweifel. Septios Schwarzblut in Copper Downs war real gewesen. Die verschiedenen Bücher über Theogonien und Theophanien, die ich während meiner Lehrjahre gelesen hatte, machten mir klar, dass Götter nichts anderes als Tyrannen, Kinder, Rechtsverdreher und Zuchtmeister waren, die sich von den übelsten Menschen nur durch den Umfang ihrer Macht unterschieden.
Die Ausmaße meiner jugendlichen Überheblichkeit waren überwältigend.
»Das mag alles sein, Mutter«, sagte ich höflich.
Sie richtete sich zu voller Größe auf. »Natürlich glaubst du mir nicht. Wie könntest du auch? Du kommst aus einem Land von Apostaten. Hier in Kalimpura gibt es nichts für dich. Ich weiß von deinen Schwierigkeiten vor den Toren der Stadt. Du …«
»Du weißt nichts von meinen Schwierigkeiten, Mutter«, unterbrach ich sie. »Du hast nicht die geringste Vorstellung davon.«
Sie schüttelte den Kopf. »Ein Mädchen deines Alters tötet nicht ohne schwerwiegenden Anlass. Wohin willst du gehen mit diesem Zorn im Herzen und dem Blut an deinen Händen?«
So viel begriff sie also von meinen Schwierigkeiten. »Ich werde einen Weg finden«, sagte ich selbstsicher und ungeduldig. Ich war jetzt bereit zu gehen.
»Es gibt hier einen Weg für dich.«
»Für eine elternlose Mörderin?«, schnappte ich. »Für ein verlorenes Mädchen, das vor dem Töten nicht zurückschreckt und das zu viel von nichts und zu wenig von allem weiß?«
»Für ein Mädchen, das sicher auf seinen Beinen steht und mit einem Messer umzugehen weiß, ja. Und ich getraue mich zu wetten, dass du auch noch andere Talente hast.«
»Ich kann ein Festmahl zubereiten, Kleider für den Hof eines Herzogs nähen und neun verschiedene Instrumente spielen«, sagte ich fast knurrend.
»Ich habe nicht den geringsten Zweifel«, erwiderte Mutter Vajpai freundlich. »Wir haben einen Wächterorden hier in diesem Tempel. Die Klingen stehen hinter den jüngeren Töchtern und Witwen, die der Liliengöttin dienen. Sie erfüllen den Willen der Göttin auch mit ihren Waffen, wenn es notwendig ist. Ihr Weg kann der deine sein.«
War das eine Prüfung? Eine List? Spielte es eine Rolle? »Du bietest mir an, den Klingen des Tempels beizutreten. Zuflucht
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