Der verborgene Hof: Roman (German Edition)
schwer durchschaubar blieb.
Die Klingen waren eine ganz andere Truppe. Eine von uns neun, Jappa, stammte aus einem Handelshaus und war eine Weile Rechtspflegeanwärterin gewesen, bevor sie, etwas älter als die anderen, den Klingen im zweiten Petalum beitrat. Von ihr abgesehen waren unsere Mädchen Straßengören und Findelkinder und Kinder unverheirateter Töchter.
Und eine Ausländerin natürlich.
Ich.
Meine Hautfarbe mochte selistanisch sein, aber mein narbiges Gesicht war es nicht. Ein kleines Kind mit meinem Aussehen wäre ersäuft worden. Ein älteres Mädchen hätte man zum Betteln ausgesetzt. Dazu kam, dass meine Aussprache nicht selistanisch war, und am wenigsten das, was ich im Kopf hatte.
Meine Mitanwärterinnen begannen rasch, einiges von meinem fremdländischen Wissen zu schätzen. Die Gassenkinder verstanden kaum etwas vom Kochen. Auch wenn einige der Frauen als Köchinnen tagtäglich in der Küche arbeiteten, unterschieden sich meine speziellen Talente auf diesem Gebiet doch sehr von den ihren.
Wir hatten Unterricht der unterschiedlichsten Art. Wir trainierten auch mit den Lilienklingen selbst, und sie nahmen uns häufig in die Stadt hinaus mit.
Einige dieser Exkursionen waren Ausflüge ganz nach der Art, wie ich sie in Copper Downs nachts mit der Tanzmistress unternommen hatte. Die Dächer von Kalimpura waren längst nicht so dafür geeignet wie die in meiner alten Stadt, dafür war der Untergrund wesentlich aufregender. In der Unterstadt wohnten die unteren Gesellschaftsklassen, Menschen, die nur nachts an die Oberfläche kamen. Es gab Waffenkammern und Zisternen und Getreidespeicher und Kerker und Schmieden und eine ganze eigene Welt im Untergrund von Kalimpura.
Dort zu sein war himmlisch für mich. Ich hatte gelernt, mich unter der Erde zu bewegen. Ich wusste ebenso gut, wie man sich dort verhielt und orientiert, wie Mutter Shaila, die die meisten unserer unterirdischen Trainingsausflüge leitete, und ich war besser als die Mehrzahl der anderen Klingen. Schon bald hatte ich die Anwärterinnen auszubilden. Ich war mehr und mehr damit beschäftigt zu rekonstruieren, was mich die Tanzmistress gelehrt und wie sie es mir Schritt für Schritt beigebracht hatte.
Ich arbeitete nachts und während der wenigen freien Stunden, machte mir Notizen und probierte die Übungen mit Samma.
In diesen Monaten begann ich auch wieder, mich um meine Glöckchenseide zu kümmern. Verzweifelt, wie ich gewesen war, hatte ich sie auf dem Weg von Bhopura vernachlässigt, aber nie ganz aufgegeben. Ich konnte die Tage erneut zählen – wie oft hatte ich das schon getan? Die anderen Mädchen spöttelten eine Weile, aber nach und nach gewöhnten sie sich an das gelegentliche Geläute der kleinen Glocken, wenn ich am späten Abend daran nähte.
Während ich meine Glöckchen befestigte, dachte ich an Kinder. Federo hatte mich für einen bestimmten Zweck gestohlen. Nein, nicht wirklich gestohlen. Schließlich hatte er Papa dafür bezahlt. Hier in Kalimpura waren Kinder überall auf den Straßen. Sie trugen Lasten und verkauften Obst, sie überbrachten Botschaften, die an ihren Unterarmen befestigt waren, und versteckten sich hinten auf Karren. Wie viele von ihnen waren frei? Wie viele von ihnen waren bei ihren Müttern und Vätern?
Ich konnte nicht vergessen, was ich mir in Copper Downs geschworen hatte. Würde ich all diese Kinder irgendwie retten? Konnte ich wenigstens einigen helfen? Wie sollte ich einen reichen Mann hinter all seinen Mauern und Schlössern finden und ihn für diese Sache gewinnen?
Als ich mich endlich von diesen Gedanken lösen konnte, begann der härteste Teil meines neuen Lebens: das Klingentraining. Anders als im Untergrund, wo ich einsame Spitze war, hatte ich vieles nicht gelernt, was sie bei jemandem meines Alters erwarteten.
»Versuche jetzt, meinen Angriff zu unterlaufen«, sagte Mutter Vajpai. Heute trug sie ein einfaches Gewand wie alle anderen. Sie hatte den weiten Rock zwischen den Beinen zur Taille hochgezogen und gegürtet, sodass sie ihn wie eine Hose tragen konnte. Wir waren in einem der Räume unter dem Tempel, der den Lilienklingen für ihre Waffengänge zugeteilt war. Wenn ihn die Frauen des Ordens nicht benutzten, stand es den Anwärterinnen frei, sich dort unter Aufsicht der Trainingsmütter blaue Flecken zu holen.
Mutter Vajpai schien ein besonderes Interesse an meinen Fähigkeiten zu haben.
Samma, Jappa, und drei andere aus unserer Schar waren an diesem Tag in der unteren
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