Der verborgene Hof: Roman (German Edition)
länger, um die Jungenkleidung abzulegen. Als ich aus Sandalen und Beinschutz schlüpfte und mein Messer auf den Boden legte, pfiff sie. »So ein Metall bekommen wir nicht vor dem Sechsten Petalum.«
»Was?« Die Frage kam ungebeten über meine Lippen, denn ich wollte nicht mehr als nötig mit diesem schrecklichen Mädchen reden.
»Prüfungen. Wir müssen mit bestimmten Waffen jagen, bevor wir bessere bekommen.« Bewunderung war in ihrer Stimme. »Jemand muss dich sehr gut gefunden haben.«
»Solange er lebte«, murmelte ich und drückte meinen Arm über die ungewohnte Schwellung meiner kleinen Brüste, während ich in die Wanne stieg.
Das Mädchen warf Kugeln aus Kräutern und Salzen ins Wasser, bevor sie folgte. Das Wasser war bald erfreulich milchig. Sie musterte mich eine Weile offen. »Ich sah deine Beulen und blauen Flecken«, sagte sie schließlich. »Da hat dich jemand übel zugerichtet.«
Ich kam um eine Antwort nicht herum. »Es waren acht oder zehn.«
Das Mädchen beugte sich vor. »Hast du es ihnen gezeigt?«
»Ich hatte es ihnen bereits vorher gezeigt«, erwiderte ich knapp. »Deshalb waren sie so böse.«
Aus irgendeinem Grund beeindruckte sie das.
Eine Weile saßen wir schweigend. Sie hätte gern nachgehakt, war aber schlau genug, mich nicht zu drängen, sondern darauf zu hoffen, dass ich selber redete. Schließlich gab sie es auf. »Ich soll dir die Haare waschen, dir Kleider geben und dich zu Mutter Vajpai bringen. Ich glaube nicht, dass du dein Jagdmesser mit dir herumtragen solltest. Das macht keine von uns Klingen. Nicht im Tempel.«
Klingen. Das war eine interessante Bezeichnung. Obwohl das Bad meine Schmerzen und meine Müdigkeit nur langsam milderte, erwachte meine Neugier. »Sagst du mir noch einmal deinen Namen«, bat ich sie zögernd. Es fiel mir schwer, sie jetzt »Mädchen« zu nennen.
»Samma«, antwortete sie fast lautlos.
»Das ist ein hübscher Name.«
»Ist er nicht.« Sie streckte mir die Zunge heraus. »Du kommst von weit her. Hier ist es hauptsächlich ein Hundename.«
»Wie soll ich dich denn dann nennen?«
»Aber es ist mein Name«, sagte Samma unglücklich.
»Namen können sich ändern. Glaub mir.« Ich hatte für meinen getötet.
»Du bist schon merkwürdig, Green.«
Ich beugte mich nach vorn. »Schon möglich. Meine Arme tun mir weh. Hilfst du mir mit meinem Haar?«
Ihre Finger auf meinem Kopf, die Berührungen an meinem Rücken durch ihren Oberkörper waren wie Balsam gegen einen Schmerz, von dem ich gar nicht gewusst hatte, dass ich ihn fühlte. Wuchsen normale Kinder in den Armen ihrer Eltern auf? Als Samma mit ihren Fingern über meinen Hals und meine Schultern strich, zitterte ich so heftig, dass ich fast ohnmächtig wurde.
Schließlich zogen wir uns an und begaben uns zu Mutter Vajpai. Ich hatte mein Jagdmesser in ein Badehandtuch gewickelt, sodass es bei unserer Ankunft nicht als Waffe zu erkennen sein würde.
Es stellte sich heraus, dass sie die Frau war, die mich bei meiner Ankunft im Tempel der Silberlilie empfangen hatte. Heute stand sie in mit Silberfäden durchwirkte rote Seide und Chenille gewandet vor uns. Ein mit Rubinen geschmücktes Netz hielt ihr hochgekämmtes Haar straff und Puder von rubinroter Farbe umrahmte ihre Augen.
»Mutter Vajpai«, sagte ich und verneigte mich.
Samma berührte mich kurz an der Schulter, vielleicht um mir Glück zu wünschen, und zog sich zurück. Sie schloss die geschwungenen Türen, durch die sie mich gerade hereingeführt hatte.
Dieser Raum war sehr hoch wie alle im Tempel und von dreieckigem Grundriss. Die dritte Ecke befand sich hinter der Frau. Außer Teppichen und Kissen am Boden gab es keine Einrichtung.
»Du bist Green«, sagte Mutter Vajpai. »Mutter Meiko sagte nur Gutes über dich. Das kommt nicht oft vor.«
»Wir trafen uns auf der Straße. Ich schritt eine Weile neben ihr. Wir sprachen nicht miteinander.«
Mutter Vajpai nickte. »Mutter Meiko vermag sehr gut zuzuhören. Sie nimmt vor allem die Stille wahr.«
Mir wurde nur allzu klar, wie Recht sie hatte. »Ja.«
»Du bist hier fremd.«
Das war keine Frage und bedurfte keiner Antwort.
»Du bist jenseits des Meeres aufgezogen worden«, fuhr sie nach einem kurzen Moment fort. »An der Steinküste. Houghharrow? Oder vielleicht Copper Downs?«
»Copper Downs, Mutter.«
»Jemand dort hat mit großer Anstrengung versucht, etwas aus dir zu machen.« Sie trat hinter mich. »Hier in Kalimpura machen wir nichts aus Frauen. Manchmal, sehr selten,
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