Der verborgene Hof: Roman (German Edition)
war.
Vielleicht ist sie eine Schutzherrin, der ich folgen kann, dachte ich. Ich hatte bereits das Blut zweier Menschen vergossen. Dazu kam der Staub des Herzogs und seiner Schergen.
Der Blutbrunnen wurde so genannt, weil das Wasser über hellroten Marmor floss. Ich hielt davor an und bewunderte die sieben Etagen mit ihren Myriaden von Reliefs, die durch die Kraft des Wassers meist nach nicht mehr aussahen als dem zerknitterte Faltenwurf eines weichen Stoffes.
Er stand in der Mitte eines Ringes, den der stete Verkehrsfluss belebte. Fünf Straßen verliefen wie Speichen in andere Teile der Stadt. Einige Gebäude standen mit ihren Fassaden zum Zentrum gerichtet. Die seltsame Architektur machte es mir schwer zu sagen, welches wohl ein Tempel sein mochte.
Ich tauchte ein in den Verkehrsstrom, vorbei an einem Wirtshaus, in dem sich das ganze Erdgeschoss in Aufruhr befand. Nachdem ich mühselig die verstopften Straßen überquert hatte, stand ich vor einem Markt, dessen Stände gerade für die Nacht geschlossen wurden. Dem Geruch und den Geräuschen nach schien er auf den Handel mit lebenden Tieren spezialisiert zu sein.
Die Gerüche des Marktes weckten die Übelkeit wieder, mit der ich seit dem Verzehr der gewürzten Taube gerungen hatte. Würgend setzte ich meinen Weg fort. Neben dem Markt fand ich einen Laden, der Stoffe und Kleidung anbot. Zu einem anderen Zeitpunkt hätte es mich vielleicht interessiert. Nach einer weiteren Straße gelangte ich an ein Gebäude, das wohl ein Tempel sein mochte. Es hatte die Form einer spitzen Kuppel, ähnlich einer gigantischen Knoblauchzehe. Der obere Teil war mit Silber verkleidet. Den unteren hatte man planlos mit Mauern aus Holz und Ziegeln überbaut. Ein Stück einer prachtvollen Marmortreppe aus dem gleichen roten Stein wie der Blutbrunnen war noch zu sehen, doch die improvisierten Mauern beeinträchtigten die einstige Pracht.
Es sah vielversprechend aus. Ich stieg die Stufen hinauf, wobei ich über Bettler steigen musste. Sie schliefen unterhalb des Treppenendes, wo sich die Sturzbalken nach außen wölbten, sodass der Eingang fast rund war. Es gab keine Türen, nur eine Öffnung in das düstere Innere.
Ich ging hinein. Der Duft von Räucherwerk war so schwer und süßlich, dass ich nach Atem rang. Ich fand mich auf den Knien auf dem kalten Marmor wieder und übergab mich unter eine kleine Bank.
Eine Frau in bleichem Gewand erschien und blickte mit gespitzten Lippen auf mich herab. Im flackernden Licht des Tempelinneren sah sie wie eine Hanchu, nicht wie eine Selistani aus. Sie war von mittlerem Alter und kultiviertem Äußeren.
»Mutter Meiko sagte schon, dass du den Weg zu uns finden würdest«, erklärte sie. »Ich hätte allerdings eine weniger auffällige Ankunft vorgezogen.« Sie half mir auf die Beine und stützte mich, bis ich mich wieder in der Gewalt hatte.
»Willkommen im Tempel.«
Ich erwachte am nächsten Morgen in einem schmalen Bett unter einem hohen und engen dreieckigen Fenster. Sonnenlicht und das Gezwitscher der Vögel drangen herein. Mutter Meiko saß auf einem niedrigen Stuhl und lehnte sich auf einen ihrer Stöcke.
»Iss nicht so viel von dem orangen Pfefferpulver«, sagte sie. »Es ist sehr scharf und kann dich umbringen.«
Ich rang nach Luft. Mein Mund fühlte sich an wie einer dieser auf der Straße aufgestapelten Hühnerkörbe. »Noch nicht, Mistress.«
»Noch nicht, Mädchen.« Sie hielt inne und schürzte die Lippen und kam dann zu einer Entscheidung. »Du bist ein Mädchen, wen immer du auch getötet hast.«
Plötzlich war ich ganz wach. Ich wusste nicht einmal, wo sich die Tür befand, geschweige denn der Weg nach draußen. Ich konnte zwar über Dächer laufen, wenn es sein musste, aber ich passte nicht durch ein so enges Fenster.
Sie stupste mich mit dem Stock. »Hör mich an. Ich bin nicht hier, um über jemanden zu richten.«
Ich versuchte, ihr nichts vorzumachen. »Ich danke dir für die Übernachtung und die Hilfe. Ich möchte jetzt weiterziehen.«
»Nein, möchtest du nicht.« Sie stupste mich erneut. »Du bist fremd hier. Auch wenn dein Gesicht so selistanisch wie meines ist, weißt du viel zu wenig über die Gegend, um allein zurechtzukommen. Du hast eine große Bürde zu tragen und besitzt sonderbare Fähigkeiten.« Wieder berührte mich ihr Stock. »Fähigkeiten sind an den meisten Orten schwer zu finden. Besonders für ein Mädchen.«
Selbst in Seliu machte mich das Wort wütend. Aber eine solche Reaktion würde mir hier
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