Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der verborgene Hof: Roman (German Edition)

Der verborgene Hof: Roman (German Edition)

Titel: Der verborgene Hof: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jay Lake
Vom Netzwerk:
Green?«, fragte sie nicht unfreundlich. »Ich erwarte jeden Moment den Richter der Gewürzgilde in einer Tötungsrechtssache, deshalb muss ich dich bitten, dich kurz zu fassen.«
    »Heute Morgen im Gottesdienst …« Meine Worte hörten sich selbst in meinen Ohren ziemlich dumm an. »Ich dachte, ich hätte die Göttin gesehen.«
    »Du scheinst keinen Unterschied zu machen zwischen Ihr und den Eisverkäufern auf der Straße, Green! Dennoch, ich zweifle nicht, dass du Sie gesehen hast, wenn du das glaubst. Sie erscheint vor dem inneren Auge eines jeden, zu dem Sie spricht.«
    »Sie hat nicht zu mir geredet, Mutter. Sie sprach von Gerechtigkeit für ein hohes Haus. Die Tempelmutter war so groß wie ein Baum, während ein starker Wind um uns herumwirbelte.
    »Wirklich?« Mutter Vajpai war selten überrascht, aber an diesem Tag schien sie es zu sein. »Interessant. Vielleicht bist du im falschen Orden. Ich bin sicher, dass dich die Priesterinnen schon allein für diesen erstaunlichen Bericht gern in ihrer Mitte hätten.«
    »N … nein, danke, Mutter.« Ich wandte mich zum Gehen.
    »Green.«
    Ich blickte zurück.
    Mutter Vajpai lächelte, und die Silberränder ihrer Zähne glänzten feucht. »Ich bin froh, dass du mir solche Dinge erzählst.«
    Und so begann meine lange, sorgenvolle Reise auf dem Pfad der Liliengöttin.
    Kalimpura war eine Stadt der Feste. Die Liliengöttin hatte natürlich Ihr eigenes; einen Tag, an dem es Blumen von den Dächern regnete und Frauen in silbernen Schleiern aus großen und kleinen Häusern strömten. Der Tempel der Silberlilie schenkte einen besonderen violetten Wein aus, diesen trugen für solche Gelegenheiten von der Maskengilde angeheuerte Tanzzwerge und Kinder mithilfe von Tabletts auf den Köpfen.
    Jede Woche, so schien es, feierte man einen Gott oder eine Göttin, eine Ernte, einen Herrscher oder eine berühmte Schlacht aus der Vergangenheit. Stets zog jemand durch die Straßen. Mal war es eine gewaltige Schlange, die auf den Rücken von vierzig Männern getragen wurde, mal war es ein riesiges Schiff aus Guttapercha mit bemalten Segeln oder vielleicht ein großer Wagen mit gefangenen Tigern und Dämonenstatuen. Einmal glaubte ich, gefangene Dämonen und Tigerstatuen zu sehen.
    Die Menge stand üblicherweise so dicht, dass man über die Köpfe und Schultern hätte laufen können.
    Die fast ununterbrochenen Feierlichkeiten bedeuteten auch, dass man immer Leute in ausländischen Kostümen sah. Für meine trainierte Beobachtungsgabe mutete dies wie das Leben auf einer sich stets verändernden Blumenwiese an. Jeder Schritt außerhalb des Tempels war eine Gelegenheit, einem Vogelkopf von der Größe der Kutsche des Faktors zu begegnen oder Stelzengehern auf dem Weg zum Mittagessen von einer Umzugsprobe oder einer Schar falscher Ausländer in Kostümen, die Hanchu oder den Safranturm oder die smaragdenen Stadtstaaten darstellten.
    Die Einwohner Kalimpuras brauchten nicht in die Welt hinausziehen. Die Welt kam zu ihnen. Alles, was man hier brauchte, waren ein guter Sitzplatz und ein kühles Getränk. Früher oder später würden alle an deiner Ecke vorbeikommen.
    Meine liebste Zeit verbrachte ich im Schlafraum. Vor der Zeit im Tempel hatte ich immer allein geschlafen, aber die Klingenanwärterinnen schliefen zusammen. Wir benutzten gemeinsam einen Raum, auf dessen Boden Matten und dicke Strohsäcke ausgelegt waren. Anfangs war Samma nur meine Bettgenossin, um mich mit allen Gepflogenheiten vertraut zu machen, aber schon nach kurzer Zeit genoss ich es, im Schlaf ihre Arme um mich zu spüren.
    Wir waren noch nicht an dem Punkt angelangt, Verliebte zu spielen, aber einige der älteren Mädchen taten es. Jappa und Rainai räkelten sich im Mondlicht, das durch das einzige hohe Fenster des Schlafraumes drang, und erforschten einander stöhnend und selbstvergessen. Samma und ich saßen oft nebeneinander und beobachteten sie, bis es uns zu langweilig wurde und wir kichernd einschliefen.
    Alle Mädchen standen sich jedoch nahe, selbst außerhalb dieser Stelldicheins im Mondlicht. Wir versorgten gegenseitig unsere Wunden, halfen uns beim Ausbessern unserer Kleider und saßen abwechselnd am Lager, wenn jemand Fieber bekam oder Übelkeit oder Grippe. Dass Meister Kareen gesagt hatte, ich wäre ein Tiger aus einem Käfig, lastete auf mir, deshalb versuchte ich, mehr zu lachen, mich weniger zu ärgern und den Mund zu halten, bis ich wusste, worum es ging. Diese Mädchen waren ihr ganzes Leben zusammen

Weitere Kostenlose Bücher