Der verborgene Hof: Roman (German Edition)

hinablaufen – von Furcht oder etwas anderem; ich wusste es nicht. Ein starker Wind rauschte, obgleich er nicht durch die Halle fegte, sondern nur den Rauch aus den Gefäßen um die Tempelmutter kreisen ließ.
    Ich dachte an Regen und den Untergang von Städten und nahm die Hand der Tanzmistress in meine. Eine Verbindung begann zu entstehen, mehr als nur eine »Inspiration«, eine unmittelbare Besitzergreifung durch die Göttin. Darauf hatte ich gesetzt, aber im Grunde hatte ich nichts anderes getan, als die Regeln geändert. Ich konnte nicht sagen, ob es mir etwas nützen würde, oder ob es richtig gewesen war, dieses Risiko für mich und meine Lehrerin einzugehen.
    Der Wind wurde plötzlich heiß, als käme er aus einem Ofen. Schreie kamen von den Bänken, und Türen wurden aufgerissen. Einige der Altartücher flogen hoch und verfingen sich an der großen silbernen Lilie. Mein Schoß schmerzte wie eine Stichwunde. Ich spürte einen plötzlichen, heftigen Blutfluss in meiner Vagina und krümmte mich. Ich konnte sehen, wie auf den Gewändern der Anwärterinnen nahe dem Altar rotbraune Flecken wuchsen. Ein Furcht erregendes Gejammer begann auf den Rängen.
    Alle Frauen im Allerheiligsten mussten jetzt bluten.
    RUHE, sagte die Tempelmutter mit einer Stimme, die viel größer und gewaltiger war als sie.
    Der Wind versiegte. Selbst die Räuchergefäße hingen reglos an ihren Ketten. Einen Augenblick später war das Allerheiligste so still, dass man das Öffnen einer Blume gehört hätte.
    ICH BIN GERUFEN WORDEN. Die Liliengöttin drehte den Körper der Tempelmutter langsam, sodass niemandem im Raum ihr göttlicher Anblick verborgen blieb. Wenn ich mich auf ihre Hände und ihr Haar konzentrierte, sah ich noch immer Mutter Umaavani. Abgesehen von dem dunklen Blut, das an einem Bein zu ihrer Sandale hinabfloss, sah sie aus wie immer. Wenn ich sie als Ganzes zu sehen versuchte, füllte sie das gesamte Allerheiligste. Um genauer zu sein, war sie irgendwo in meinem Kopf.
    ICH BIN GEKOMMEN. Staub sank von der Decke herab. ICH WERDE ZU DEM MÄDCHEN GREEN SPRECHEN. Die Liliengöttin sagte noch etwas in einer Sprache, die ich nicht kannte.
    Mir wurde bewusst, dass ich auf dem Boden kniete. Ich hatte keine Erinnerung daran, niedergesunken zu sein. Alle anderen, soweit ich sie sehen konnte, von den Anwärterinnen vor mir bis zu den Bänken dahinter, knieten ebenso. Alle, außer der Tempelmutter in ihrer Erscheinung als die Liliengöttin.
    Ich stand auf und ging ein halbes Dutzend Schritte auf sie zu. Ich konnte der Tempelmutter nicht in die Augen blicken und starrte erneut auf das Blut an ihrem Fuß. Meine Lenden fühlten sich heiß und leer an und schmerzten wie bei der schlimmsten Regelblutung.
    Die Tanzmistress war neben mich getreten. Aus dem Augenwinkel konnte ich sehen, dass sie hoch erhobenen Hauptes dastand. Sie sprach zur Liliengöttin in ihrer eigenen Sprache. Die Göttin antwortete ebenso mit dieser gewaltigen Stimme. Dann sprach sie zu mir.
    GREEN. DU BIST KEINE GUTE DIENERIN, ABER EIN HERAUSRAGENDES WERKZEUG.
    Ich hob meine Schultern ein wenig und nickte in die Richtung Ihrer Füße. Ich fühlte mich wie ein Falke vor einem Sturm. Wie konnte ich nur denken, dies wäre besser als ein einfaches Urteil von Frauen über Frauen?
    Ich konnte nirgendwohin entrinnen, gar nichts tun, außer stehen zu bleiben und es mit aller Kraft zu ertragen.
    DU HAST SÜNDEN AN MEINEM HAUS BEGANGEN, DEM HAUS DER SCHIFFE UND DEM HAUS DER STRASSEN.
    Ich sank erneut auf die Knie und weinte.
    ICH LIEBE DICH ZU SEHR, UM ZUZULASSEN, DASS DIR DAFÜR LEID ZUGEFÜGT WIRD.
    Tränen flossen mir über das Gesicht, Tränen aus der Tiefe meines wunden Herzens.
    SELISTAN, KALIMPURA UND MEINEM TEMPEL DROHT GEFAHR. DU BIST DIE KLINGE, DIE ICH ZU UNSEREM SCHUTZ ENTSENDE. ICH ENTSPRECHE DEN BITTEN UM GERECHTIGKEIT VON FRAUEN DIESER STADT, INDEM ICH DICH VON DIESEN KÜSTEN IN DEN KALTEN NORDEN JENSEITS DES MEERES VERBANNE. DORT WIRST DU AUFHALTEN, WAS BEGONNEN HAT, BEVOR ES ÜBER DAS MEER GELANGEN UND HIER ZUSCHLAGEN KANN.
    Ich lag auf dem Boden. Speichel floss mir aus dem Mund auf den Marmor. Meine Ohren bluteten. Aber ich musste eines wissen. »W …Wo, Göttin, finde ich diese Gefahr?«
    Die Hand der Tempelmutter zitterte, als sie auf die Tanzmistress deutete. IN DEN WINDUNGEN IHRES HERZENS.
    Ein mächtiger Donnerschlag hallte durch den Raum. Die Räuchergefäße fielen herab. Einige zerbrachen, obgleich sie aus Silber und Messing gefertigt waren. Die