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Der verborgene Hof: Roman (German Edition)

Der verborgene Hof: Roman (German Edition)

Titel: Der verborgene Hof: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jay Lake
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Träume viel mächtiger sind als die meinen.«
    Während der Altar vorbereitet wurde, bahnte sich eine Frau des Rohrdommelhofes ihren Weg zum heiligen Kreis herunter. Mehrere Mütter von den Klingen eilten protestierend hinter ihr her. Zwei Anwärterinnen kleideten die Tempelmutter währenddessen in ihre sakralen Gewänder. Als sie sich der herankommenden Frau im grauen Seidenkleid des Rohrdommelhofes zuwandte, war der Ärger in ihrer Miene unübersehbar.
    »So geht das nicht«, sagte die Rohrdommelfrau ruhig. Dass sie ohne Gruß und Vorstellung sprach, verriet mir, dass die beiden bereits miteinander gesprochen hatten und ihr Gespräch in diesem problematischen Augenblick nur fortsetzten.
    »Ich stolziere nicht in euren Audienzsaal und sage dem Prinzen des Rohrdommelhofes, wie er über die Schiffe im Hafen entscheiden soll«, sagte die Tempelmutter scharf. »Es steht dir nicht zu, an meinen Altar zu treten und mir zu sagen, wann und worum ich meine Göttin zu bitten hätte.«
    »Wir haben eine Vereinbarung.« Obgleich die Rohrdommelfrau mit dem Rücken zu mir stand und vorgeben mochte, dass ich Luft für sie war, verriet mir der Ruck ihres Kinns deutlich genug, dass sie mich meinte.
    »Wir haben eine Vereinbarung, den Tötungen heute nachzugehen«, erwiderte die Tempelmutter. »Ich gehe ihnen nach. Du kommst auch an die Reihe.«
    »Ich bin zuerst an der Reihe!« Die Stimme der Frau verspritzte Gift.
    »Nicht, wenn für die Sache um die Entscheidung der Göttin gebetet wird.« Die Stimme der Tempelmutter war nicht weniger giftig. »Und jetzt schlage ich vor, dass du an deinen Platz zurückgehst, bevor deine Töchter zur Unfruchtbarkeit verdammt werden.«
    Als sich die Frau umdrehte, sah sie mich endlich an. Wenn ihr Blick hätte schneiden können, hätte man mich in Stücken in einem Korb hinaustragen müssen. Ich schenkte ihr ein breites Lächeln und nickte ihr zu, als wären wir alte Freundinnen, die sich auf dem Markt treffen.
    Sie trat bebend den Rückzug an. Ich fragte mich, ob sie zu ihrem Sitz zurückkehren würde. Wahrscheinlicher war, dass vom Rohrdommelhof gedungene Schläger auf mich warteten, für den Fall, dass ich das Allerheiligste als freie Frau verlassen sollte.
    Allerdings legte sich nur ein verrückter und dummer Halsabschneider mit einer Lilienklinge an. Jede Klinge hatte eine Anzahl gut bewaffneter Freunde.
    Vorausgesetzt natürlich, dass ich am Ende dieses Verfahrens mit oder ohne Schwur noch immer zu den Klingen gehörte.
    Eine der priesterlichen Anwärterinnen begann, die Weihrauchfässer rund um den Altar zu entzünden. Der Blick, den sie mir zuwarf, war sehr besorgt. Interessant. Ich dachte noch immer nicht, dass mein Leben auf dem Spiel stand, wohl aber das der Tanzmistress. Wir hatten die Pläne für diese Versammlung durchkreuzt.
    Der Rauch stieg auf. Zu dieser Jahreszeit war er mit Safran versetzt, was ihm einen ungewöhnlichen Duft nach Wermut und Sonnenblumen verlieh – ganz anders als die Art und Weise, wie sich das Gewürz im Essen bemerkbar macht. Die rundumgehenden Anwärterinnen begannen, ein Gebet zu singen, in das auch zwei Mütter einfielen, deren Gesichter ich kannte, aber nicht ihre Namen.
    Das Gebet bat die Liliengöttin um Ihre Kraft in Zeiten des Zwistes. Das kannte ich noch nicht. Es klang mehr wie ein Kriegsgebet, denn eine Bitte um Weisheit. Es war nicht Sache der Frauen, in den Kampf zu ziehen. Selbst wir Klingen taten es im Verborgenen oder in Verkleidung.
    Dennoch huldigten sie den Tugenden von Waffe, Schild und Helm. Dann trat die Tempelmutter vor, breitete ihre Arme aus und begann die Hymne des Wandels, in die die Versammelten einfielen.
    O Lilie, Mutter für uns alle
    Hier in Deiner heiligen Halle
    Schau wohlgesinnt auf uns herab
    Von der Wiege bis zum Grab
    Von Kindesbeinen bis zur jungen Maid
    Zur Mutter und zum alten Weib
    Lass all die Ängste uns bezwingen
    Die manche bitteren Jahre bringen
    Der Gesang endete mit den letzten Tönen des Harmoniums, das hoch über den Bankreihen gespielt wurde. Seine Blasebälge endeten mit einem vertrauten schnaufenden Geräusch. Die Tempelmutter wandte sich ihrem Altar zu, senkte den Kopf und begann wieder zu beten, dieses Mal allein. Es war ein langer auf- und abschwellender Gesang ohne Atempause.
    Die Tanzmistress packte meinen Arm. »Etwas kommt«, flüsterte sie fast lautlos.
    Das Priesterinnengewand der Tempelmutter begann, sich in einem vertrauten Luftwirbel zu bewegen. Ich spürte einen kalten Schauer meinen Rücken

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