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Der verborgene Hof: Roman (German Edition)

Der verborgene Hof: Roman (German Edition)

Titel: Der verborgene Hof: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jay Lake
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gebeten hatte. Mir wurde ein wenig übel. Der Zeitpunkt für eine einfache Bitte um Vergebung war längst vorbei. Nicht, dass ich gewusst hätte, worum ich bitten sollte. Gnade vielleicht, aber ich hatte in meinem Leben wenig Gnade erfahren und selbst wenig in meinem Herzen gefunden.
    Mit schriller Stimme rief ich: »Ist es denn falsch, Mutter, wenn ich meiner ältesten Lehrerin in ihrer Stunde der Not beistehe? In den Städten der Steinküste haben wir keine Mütter, aber sie war eine Mistress für mich, was nicht viel Unterschied macht. Ich zog meine Klinge für sie, wie ich es für dich getan hätte.«
    Sie sah mich lange an. »Wir haben keine Mütter? Sicher wolltest du sagen, sie haben keine Mütter.«
    Ein Sturm von Stimmen brach auf den Bänken los. Ein Wassertropfen traf mich im Gesicht, dann ein weiterer. Ich blickte hoch, doch ich sah nur das ferne Dach des Allerheiligsten.
    »Fällt dir auch auf, woran dieser Ort erinnert?«, murmelte die Tanzmistress. Ich blickte zu ihr, als sie mit ihren Daumen den ovalen Schlitz einer Vagina formte. Es war derb, und ich war in diesem Augenblick froh, dass niemand in unserer Nähe Petraeanisch sprach. Sie beabsichtigte eine Beleidigung, und sie wollte, dass man sie verstand.
    Nichts war über mir, woher das Wasser kommen könnte. Weitere Tropfen wirbelten um mich in einem Wind. Ich erinnerte mich an den Traum unten in der Zelle, den Traum von Regen und Lilien und untergehenden Städten.
    »Ich bitte …«, rief ich und hielt inne. Das Echo meiner Stimme ließ die Frauen auf den Bänken langsam verstummen. Ich sah zur Tempelmutter, doch sie hatte nicht mich im Blick. Ihrer grimmigen Miene nach zu schließen, hatte sie den Sinn der Bemerkung der Tanzmistress verstanden. Mein letzter Schachzug war fehlgeschlagen, jetzt musste ich aufs Ganze gehen. »Mutter Umaavani«, sagte ich und fügte der Beleidigung der Tanzmistress meine eigene Respektlosigkeit hinzu. »Ich bitte die Liliengöttin, in Ihrer Gnade und Weisheit das Urteil über mich zu sprechen. Bringt Ihr eure Anklagen zu Gehör, wenn Sie sie nicht ohnehin bereits kennt, und lasst uns hören, was Sie über mich und meine Lehrerin sagt.«
    Ich hörte ein weiteres Lachen auf den Bänken, dieses Mal laut und deutlich. Es mochte die Stimme von Mutter Shesturi sein. Es schien, dass mich noch nicht alle abgeschrieben hatten.
    »Also gut«, sagte die Tempelmutter mit eisiger Stimme. »So soll es geschehen. Die Bürde lastet auf deiner Seele.«
    Auf den Bänken wurde es wieder laut. Protestrufe kamen von weiter oben, mit Sicherheit von den Außenstehenden, aber sie gingen in dem Stimmengewirr auf den unteren Bänken unter.
    Die Tempelmutter dirigierte die Tanzmistress und mich zu einer Bank am Rande des Altarkreises, direkt unterhalb der der ersten Sitzreihe. Normalerweise saßen dort die Anwärterinnen, bevor sie den Schwur ablegten, oder andere, die beim Gottesdienst auf ihren besonderen Einsatz warteten.
    Diese Bank hatte außerdem den Vorteil, dass sie außerhalb der Schusslinie von Mutter Argais Armbrust stand.
    »Was passiert jetzt?«, flüsterte die Tanzmistress hastig.
    »Die Göttin wird ein Urteil über uns fällen.«
    »Wirklich?«
    »Ja.« Ich sah sie stirnrunzelnd an. »Es war mein bester Schachzug, um unser Leben und unsere Freiheit zu retten. Diese Frauen kennen keine Gnade, aber die Göttin hat schon zu mir gesprochen. Und Ihre Macht ist sehr real. Hier ist nicht Copper Downs, wo das Göttliche im Schlaf dahindämmert. Ein Wagnis ist es dennoch. Die meisten Sprüche der Göttin sind Interpretationen der Tempelmutter.«
    »Die Tempelmutter äußert ihren Wunsch und schreibt ihn dann der Göttin zu?« Der Sarkasmus troff förmlich aus ihrem Mund.
    »Nun, ja.« Deutlicher hätte sie den Finger nicht auf die Schwachstelle in meinem Plan legen können. »Aber manchmal geschieht es auch, dass die Göttin direkt durch sie spricht. Ich hoffe darauf, dass sich die Göttin persönlich unserer Sache annimmt, weil ich Ihre Gegenwart immer wieder spüren konnte.«
    »Warum glaubst du das, Green?« Ich hörte die Angst in ihrer Stimme. Das Ende mochte jeden Moment kommen, und die Tanzmistress konnte es nicht mit so vielen aufnehmen.
    »Weil ich unten in der Zelle von Regen träumte und weil jetzt hier am Altar Regentropfen auf mich fielen.«
    Sie seufzte. »Sie ist nicht etwa eine Regengöttin, oder?«
    Ich schüttelte den Kopf. Das Leben meiner Mistress hing an einem viel zu dünnen Faden.
    »Dann hoffen wir, dass deine

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