Der verborgene Hof: Roman (German Edition)
jetzt leidet sie große Schmerzen und könnte sterben.«
»Könnte? Wir werden alle ganz sicher sterben.« Sein Rachen öffnete sich. Ich hielt es für ein Lächeln, obgleich mehrere Passanten zu laufen begannen. »Wo ist sie?«
»Im Tempel der Algesien«, sagte Septio.
»Führe mich hin.«
Ich war hin- und hergerissen. Einerseits verlangte es mich, mit ihm in den Tempel zu gehen, um zu sehen, was mir der Pater Primus verwehrt hatte. Andererseits war mir die Notwendigkeit bewusst, den Tempelwirt zu informieren und damit alle jene von ihrem Volk, die in der Stadt lebten.
»Kannst du diesen Priester begleiten?«, bat ich ihn.
»Ich finde Priester ergötzlich«, sagte die Genette. Seine Stimme war jetzt ein tieferes Grollen als zuvor. Seine Krallen zupften an einigen der Knochen, die an seine Brust geknüpft waren. »Ich habe die Besten immer bei mir.«
»Bring ihn zum Tempel«, sagte ich zu Septio. »Sobald ich den Tavernenwirt gefunden habe, gehe ich zur Stoffbörse auf der Roggenstraße. Komm dorthin, wenn du fertig bist.« Ich bohrte ihm meinen Finger in die Rippen. »Lass mich wissen, wie es ihr geht, wenn dir auch nur ein wenig an meinem Wohlwollen liegt.«
Septio nickte und sah dann die Genette an.
»Ich bin der Rektifizierer«, sagte das große Katzenwesen und zeigte wieder seine Zähne.
Ich war ganz froh, von den beiden wegzukommen. Im Laufe der Zeit würde der Rektifizierer ein guter Freund werden, und da war etwas tiefgründig Spitzbübisches an ihm, das ich vom ersten Augenblick an mochte, aber ich war so abgelenkt zu diesem Zeitpunkt, dass ich seinen Worten nicht genug Aufmerksamkeit schenkte. Seine Freundschaft ist wie das Verhältnis des Menschen zum Feuer – es brennt ebenso leicht dein Haus nieder, wie es deine Suppe wärmt.
Ohne sein freundliches Wesen wäre seine todbringende Art zum Fürchten gewesen.
Wie es häufig der Fall ist, war der Gesuchte schließlich dort zu finden, wo sein Platz war – in seiner Taverne. Ich trat bestimmt zum dutzendsten Mal durch die Eingangstür und fand ihn vertieft in meine Nachricht vor.
»Du bist wieder da!«, rief ich. »Wir brauchen einen Heiler! Das heißt, wir brauchten einen. Ich habe inzwischen Hilfe gefunden.«
»Es freut mich, dass du Hilfe finden konntest«, erwiderte der Tavernenwirt nachsichtig. »Ich kann weitere rufen, wenn es notwendig ist. Aber wen hast du geschickt?«
»Einen großen, gewalttätigen Vertreter eures Volkes. Er nennt sich der Rektifizierer.«
Die Ohren des Tavernenwirts stellten sich auf, wie ich das schon bei Streitgesprächen bei der Tanzmistress beobachtet hatte. »Du hast den Rektifizierer in einen Tempel der Menschen geschickt?«
Sein Ton ließ mich aufhorchen, und ich dachte daran, was das große Katzenwesen über die in sein Fell geknüpften Knochen gesagt hatte. Nicht, dass ich eine besondere Loyalität gegenüber dem Pater Primus und seiner Bande von Schmerzanbetern empfand, aber ich wollte auch keine Gewalt in ihr Haus bringen. »Habe ich einen Fehler gemacht?«
»Schon möglich.« Der Tavernenwirt schien zwischen Besorgnis und Belustigung zu schwanken. »An den Tag werden sich alle noch lange erinnern.« Er faltete meine Nachricht zusammen. »Wie schwer sind ihre Verletzungen?«
»Sie wurde in einem Kampf mit einem Avatar des Gottes Schwarzblut böse zugerichtet. Dieser schleifte sie schließlich hinter sich her in den Tempel. Ich fürchte schwere Verletzungen durch den verlorenen Kampf und eine Beeinträchtigung ihres Seelenpfades durch den Aufenthalt in den Tiefen des Tempels der Algesien.«
Er runzelte die Stirn. »Ich werde Heiler und ein paar andere holen, um auf alles vorbereitet zu sein. Kommst du mit?«
»Nein.« Es tat mir leid, das sagen zu müssen. »Die Priester haben mich beauftragt, den Übergangsrat aufzusuchen, bevor sie die Tanzmistress freilassen. Wenn ich jetzt zum Tempel zurückkehre, habe ich diese Bedingung nicht erfüllt.«
»Dann geh. Ich werde alles, was ich brauche, in kurzer Zeit hierhaben.«
»Tavernenwirt …?«
Er hielt inne. »Ja?«
»Wird ihr der Rektifizierer mehr Leid zufügen?«
»Nein. Aber seine Hilfe mag anders ausfallen, als sie es sich am meisten wünscht.«
Ich floh. Bedauern rang mit Scham in meinem Herzen. Ich hätte der Tanzmistress zur Seite stehen müssen. Hätte es können. Nur, dass ich jetzt tun musste, was zwei Gottheiten von mir verlangten. Und was auch sie wollte, natürlich. Das war der Gedanke, an den ich mich klammerte: dass es das war, was sie
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