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Der verborgene Hof: Roman (German Edition)

Der verborgene Hof: Roman (German Edition)

Titel: Der verborgene Hof: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jay Lake
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wollte.
    Von der namenlosen Taverne zur Roggenstraße war es nicht weit. Ich durchquerte den Brauereibezirk und brachte ein paar Häuserblocks hinter mich. Dann war ich auf der Straße. Hier hatten einst Gerbereien ihr Gewerbe betrieben, bevor sie an den östlichen Stadtrand übersiedelten. Einige der großen alten Gebäude enthielten jetzt Kutschendepots und Pferdeställe. Andere wurden in Umschlagplätze für Holz und andere Waren umgewandelt, die viel Platz beanspruchten.
    Jenseits beherbergte die Roggenstraße Schuster, Schneider, Weber sowie mehrere Filzwerke. Die Stoffbörse war, im Gegensatz zu vielen Gildenhäusern in dieser Stadt oder auch in Kalimpura, stolz ihren Ursprüngen treu geblieben. Ich war noch nicht drinnen gewesen, und wir waren auch während unserer Erkundung der Stadt nicht daran vorbeigekommen, weil wir fürchteten, hineingerufen zu werden. Die Tanzmistress hatte aus der Ferne aber einige Male darauf gedeutet.
    Eine Fassade aus gemeißeltem Granit schien darauf ausgelegt zu sein, dem Handwerk Ansehen zu verleihen. Die Treppe wurde flankiert von einer Statue von Wollballen auf der einen Seite und der steinernen Nachbildung eines Filzbottichs auf der anderen. Jemand hatte Blumen in den Bottich gepflanzt, doch davon waren jetzt nur schmächtige Stängel und vertrocknete Blätter übrig. Das Banner Copper Downs’ hing vom Dach über die mittleren Fenster – ein viergeteilter kupferner Schild mit einer kleinen Krone und einem Schiff. Da man mich gelehrt hatte, solche Symbole zu deuten, sollte ich, um genau zu werden, besser sagen, dass der Schild in Viertel aufgeteilt war. Im ersten befand sich, auf orangem Grund, eine kleine Herzogskrone über einem Hochseeschiff, im dritten ein orangefarbenes Feld, im zweiten und vierten je ein blutrotes Feld.
    Irgendwie war ich überrascht, dass sie die Krone nicht entfernt hatten.
    Zwei Wachen standen auf halber Treppenhöhe vor dem Eingang. Sie trugen ebenso schlecht gegerbte Lederuniformen, wie sie der Dummkopf vor der Stadtkasse anhatte, und sie hielten Piken in den Fäusten. Als ich die Treppe hochkam, senkte einer die Waffe, um mich aufzuhalten.
    »Kommst hier nicht rein, Junge. Schon gar nicht mit der Maske im Gesicht. Außerdem sind die drinnen beschäftigt.«
    Ich konnte hier schlecht einen Streit anfangen. »Ich werde erwartet.«
    »Aber jetzt hat man es sich anders überlegt.« Die beiden lachten.
    »Federo wünscht mich zu sprechen.«
    Das Lachen brach ab. Der Pikenhalter kniff die Augen zusammen. »Und du bist sicher, dass du mit ihm sprechen möchtest? Wird dir vielleicht leidtun, Kleiner.«
    Ich malte mir aus, ihn Hautlos zum Fraß vorzuwerfen, hielt aber meine wachsende Gereiztheit im Zaum.
    »Das wird sich zeigen, wenn ich drin bin.«
    Er pochte an eine Tür mit Glasmalereien, welche die Kunst der Filzherstellung zeigten. Ein älterer, gelangweilter Schreiber blickte heraus.
    Der Wachposten deutete auf mich. »Der da sagt, Federo will ihn sehen.«
    Der Schreiber musterte mich von oben bis unten. »Wir suchen keinen aufgetakelten Raufbold. Versuch es lieber in den Varietés in der Labskausstraße.«
    Ich lüftete meinen Schleier und zeigte ihm meine narbigen Wangen.
    »Ich kann mich auch irren«, sagte er sofort. »Ich sehe, dass die Gerüchte über deine Ankunft nicht übertrieben waren.«
    »Danke«, sagte ich lächelnd zu den Wachen.
    Die Verkleidung war gut genug für Kalimpura, wo man den Eindruck gewinnen konnte, dass jeder Einzelne sich auf seine eigene Weise kleidete. Hier, wo sich Kostüme auf die Bühnen beschränkten, sah ich nur befremdlich aus. Schleier waren nicht besonders in Mode. Masken ebenso wenig.
    Jetzt, da ich mich in der Stoffbörse befand, konnte ich meine Maskerade beenden. Ich stopfte den Schleier in meine Tasche, während ich dem Schreiber durch mehrere Türen folgte.
    Der Korridor war einst prachtvoll gewesen. Jetzt war der Marmorboden unter Regalen, Schränken und Tischen kaum noch zu sehen. Landkarten waren über die Porträts längst verstorbener Börsenpräsidenten gehängt worden. Menschen bewegten sich dazwischen mit Papieren in den Händen, schrieben mit Füllfedern oder standen in kleinen Gruppen zusammen. Zollabgaben und Handelskonzessionen waren mit dem Sturz des Herzogs nicht überflüssig geworden. »Wie du siehst«, meinte der Schreiber, »sind wir ziemlich beschäftigt. Wir hielten es für praktisch, die Steuern- und Abgabenabteilung hierher zu verlegen, wo der Umgang mit öffentlichen Beschwerden

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