Der verborgene Hof: Roman (German Edition)
diesen horizontalen Lederstreifen maskiert. Er hielt einen dünnen Eisenstab hoch erhoben in einer Hand, sodass der Avatar ihn sehen konnte. Ich erkannte, dass der Haken an seinem Ende aus Bein war, was sinnvoll war, denn ich hatte ja bereits die bittere Erfahrung gemacht, dass gewöhnliche Waffen gegen diese Kreatur wirkungslos blieben.
Was mir das Herz stillstehen ließ, war der der nackte, mit kleinen roten Wunden übersäte Junge, den Septio mit der anderen Hand an den langen blonden Haaren hielt. Die Augen des Jungen waren geschlossen, und sein Mund hing offen.
Septio berührte Hautlos mit seinem Stock, wandte sich dann um und schritt aus dem Bild. Er zog den Jungen mit sich. Der Avatar folgte mit der Tanzmistress. Ich hörte die Schritte aus der Düsternis der Halle.
Die Tempelsprache hallte laut wider. Septio richtete das Wort oder ein Gebet an Schwarzblut. Es klang schmerzhaft in meinen Ohren. Die Sprache passte zu einem Gott der Schmerzen. Eine laute, langgezogene Silbe war die grollende Antwort einer so tiefen Stimme, dass ich ihren Klang in meinem Bauch und meinen Rippen spürte.
Die Priester seufzten. Dann herrschte Stille.
Ich wartete, was als Nächstes geschehen würde. Das kleine Becken war nun bildloses Silber wie das große in der Mitte des Allerheiligsten. Die Priester standen noch immer erwartungsvoll.
Nach einer Weile tauchte Septio aus der Dunkelheit auf. Er kam mit leeren Händen – ohne Eisenstab, ohne Tanzmistress, ohne alles. Meine Finger tasteten sich zum Griff meines Messers hinab. Wo ist sie?
Ich musste geknurrt haben, denn Septio wirkte überrascht, als er seine Maske abnahm. Er hielt das Leder nervös in seinen Händen, bevor er mich ansah. »Deine Lehrerin lebt«, sagte er ruhig. »Kannst du einen Heiler ihres Volkes herbringen?«
»Ja. Ich möchte sie jetzt sehen.«
»Nein«, sagte der Priester, von dem ich annahm, dass er Pater Primus war.
Die anderen Priester begannen, das Allerheiligste zu verlassen, während er ebenfalls seine Maske abnahm. Darunter war ein leicht feistes Gesicht von der üblichen nördlichen Blässe mit braunen, goldgefleckten Augen. Ohne seine Robe hätte er ebenso gut ein Obsthändler auf dem Markt sein können.
»Du verursachst eine Menge Unannehmlichkeiten, junge Frau.« Auch seine Stimme war gewöhnlich. Nichts wies auf den Gott hin, dem er diente.
Ohne den Schleier abzunehmen, erwiderte ich: »Die Welt verursacht eine Menge Unannehmlichkeiten. Ich möchte jetzt meine Lehrerin sehen.«
»Unser Schwarzmondopfer ist angenommen worden.«
Das schien keine Antwort zu sein. Ich vermied es, an den Jungen zu denken und was angenommen bedeuten mochte. »Wo ist sie? Oder muss ich sie selbst suchen?«
Seine Hand zuckte. »Begib dich nicht in die Schatten dieses Tempels, wenn du ihn so unversehrt verlassen möchtest, wie du gekommen bist.«
»Dann bring sie zu mir.«
»Dazu ist sie noch nicht in der Lage«, sagte Septio neben mir.
»Ich werde dich auf keinen Fall zu ihr lassen«, fügte Pater Primus hinzu. »Dein Weg ist ein anderer. Ich denke, du wirst ihm mit größerem Eifer folgen, wenn du sofort aufbrichst.«
»Sie ist also eine Geisel.« Ich hatte den Messergriff fest in der Faust, aber um ehrlich zu sein, hatte ich keine Ahnung, wie ich gegen einen Tempel voller Priester kämpfen wollte, die sich noch dazu der Pein verschrieben hatten.
»Nein, sie wird Federo und dem Übergangsrat übergeben werden, sobald sie dazu in der Lage ist.«
Dies war sein Haus. Ich konnte nicht viel mehr tun, als vor Wut kochen. »Dann werde ich aufbrechen, um ihre Flucht aus eurem Kerker zu beschleunigen.« Ich musste so rasch wie möglich zum Tavernenwirt, um ihn um einen Heiler zu bitten. Danach würde ich überlegen, wie es wäre, Feuer an seinem Tempel zu legen.
Der Pater Primus blickte Septio nachdenklich an. »Ist sie auf unserer Seite?«
»Ich werde nicht euer Feind sein, wenn meine Lehrerin erst frei ist.« In Wahrheit war ich nicht so sicher, doch das war nicht der Augenblick zu streiten.
»Sie ist auf unserer Seite«, sagte Septio. »Aus eigenen Gründen, nicht, weil sie dazu gezwungen ist.«
Der Pater Primus wandte sich an mich. »Ich hoffe, die alte Macht ist in dir, Mädchen, denn eine Klinge mehr in der Hand einer Frau ist nicht mehr als ein Weizenhalm vor der Sense.«
»Meine Klinge reicht weiter, als du denkst«, schnappte ich. Und zu Septio sagte ich: »Zeig mir den Weg hinaus.«
Wir schritten ohne weitere Zeremonie durch die Halle. »Wir
Weitere Kostenlose Bücher