Der verborgene Hof: Roman (German Edition)
war noch immer niemand da, aber Septio und ich suchten hinter dem Tresen und fanden ein Warenbestandsheft. Ich riss von hinten ein Blatt heraus und schrieb eine Nachricht, wobei ich besonders auf den Ernst der Lage hinwies.
Der Tavernenwirt würde die Dringlichkeit erkennen, und ich musste mich auf die guten Absichten der Priester Schwarzbluts verlassen. Das war vermutlich nur eine begrenzte Zeit ratsam, zumindest aber, solange sie dachten, dass sie mich brauchten.
Du musst den besten Heiler deines Volkes rufen, den du finden kannst, schrieb ich zum Abschluss meiner Erklärungen. Ihr Seelenpfad könnte großen Schaden erlitten haben. Ihr Körper ganz bestimmt. Ich rate dir auch, in Begleitung einer Schar starker Freunde zu gehen. Es könnte Schwierigkeiten im Tempel geben.
Septio las über meine Schulter. »Wir bewahren dich und sie vor schlimmerem Schaden«, erklärte er.
»Deine Sorge ist Balsam für mein Herz.«
Weil ich nicht tatenlos herumsitzen konnte, während sie litt, machten wir uns in den Gebäuden der Umgebung auf die wenig Erfolg versprechende Suche nach dem Tavernenwirt.
Wir suchten jede Brauerei und jeden Verladekai im Umkreis von sechs Blocks ab. Zwischendurch kehrten wir immer wieder in die Gaststätte zurück. Der Tavernenwirt blieb unauffindbar.
Etwa eine Stunde vor dem Mittag, als ich schon zu verzweifeln begann, stieß mich Septio am Ellenbogen an. »Schau, dort«, sagte er. »Ist das dein Mann?«
Eine männliche Genette stolzierte die Gollymobstraße entlang. Es war nicht der Tavernenwirt, aber ich wusste, dass es nicht mehr viele von ihrer Rasse gab. Von diesem mochte ich bekommen, was ich so verzweifelt suchte. Ich eilte hinter ihm her und wünschte mir, ich hätte wenigstens ein paar Worte in seiner Sprache gekannt.
Er musste gespürt haben, dass ich hinter ihm war, denn er wandte sich um, bevor ich ihn erreichte. Ich hielt mitten im Schritt an.
Ich hatte bisher nur zwei Leute vom Volk der Tanzmistress kennengelernt. Sie bevorzugten Roben oder Togen nach petraeanischer Art, die ihre Schwänze nicht behinderten. Ich hatte sie auch in Sandalen gesehen. Genetten traten in der Öffentlichkeit sauber und gepflegt auf und glitten durch die menschliche Gesellschaft wie Aale durch ein Riff.
Aber nicht dieser.
Er war sogar noch größer als der Tavernenwirt und mit kräftigem Oberkörper, der mich unwillkürlich an eine geschmeidige Raubkatze auf der Jagd denken ließ. Er trug kein Gewand und kein Schwert, nur eine kleine Tasche aus dicht geflochtenen Blättern. Das Fell seiner Brust war in kleine, viereckige oder sechseckige oder formlose verfilzte Flecken aufgeteilt, an denen jeweils ein Knochen hing. Die hellen Hautlinien, die auf diese Weise sichtbar wurden, ließen geschmeidiges Muskelspiel und eine ganze Reihe von Narben erkennen.
Auch seine Augen waren wild, von einem tiefen flüssigen Gold, im Gegensatz zu denen der Tanzmistress, die an fließendes Wasser an einem Sommertag erinnerten. Seine Ohren waren ein wenig größer und länger als ihre und ausgefranst als wären sie in Kämpfen zerfetzt worden.
Mit ausgefahrenen Krallen öffnete er eine Faust. Eine zerdrückte Blume lag darin. Einen Augenblick lang hielt ich das für einen neuen Hinweis der Liliengöttin, doch es war eine Orchidee, wahrscheinlich eine der blassen Blüten des Hochwaldes.
Wir musterten einander. Während die Tanzmistress unter den Stadtbewohnern kein Aufsehen erregte, ging man ihm aus dem Weg. Wenige starrten, und jeder wich seinem Blick aus, aber allen war seine Gegenwart bewusst.
»Er ist aus den Blauen Bergen«, sagte Septio ruhig. »Von irgendwo hoch oben, wo sie noch die alten Traditionen pflegen. Ihresgleichen kommt selten in die Städte der Menschen.«
Die Genette antwortete in der Sprache der Tanzmistress. Ich erkannte die Laute, aber konnte keine Antwort geben. Notgedrungen benutzte ich Petraeanisch, obgleich ich bezweifelte, dass er es verstand. Ich redete langsam und deutlich.
»Ich suche dringend einen Heiler deines Volkes. Die Tanzmistress ist schwer verletzt. Kannst du helfen oder weißt du jemanden, der es kann?«
Er starrte mich einen Moment länger unverwandt an. Ich könnte ebenso gut zu einem Ochsen reden, dachte ich.
»Ist sie diejenige, die im Übergangsrat sitzt?«
Ich konnte meine Überraschung nicht verbergen. Sein Akzent war ein wenig fremd, aber er beherrschte die Sprache perfekt. »Ja.«
»Ich habe gehört, sie ist übers Meer gefahren.«
»Sie ist zurückgekommen. Und
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