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Der verborgene Hof: Roman (German Edition)

Der verborgene Hof: Roman (German Edition)

Titel: Der verborgene Hof: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jay Lake
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Priester, doch das Messer entglitt meinen Fingern und schlitterte über den Boden, als wäre es einem nervösen Chirurgen entfallen. Als ich herumrollte, um zu kämpfen, gab mein Arm unter meinem Gewicht nach. Jemand trat mich heftig in die verwundete Schulter. Ich heulte auf, schluckte es aber und versuchte mich zusammenzurollen. Das brachte mir ein paar Tritte in den Rücken ein. Dann beschlossen sie zu reden.
    »Bei Martris Wunden, ich glaube, er hat Sextio getötet!«
    Das wurde von einem so heftigen Tritt begleitet, dass mir der Magen hochkam. Ich versuchte, dem Schmerz in meiner Schulter Herr zu werden.
    Eine andere Stimme: »Nein, das ist wieder Septios Kleine. Kein Wunder, dass der Pater Primus so viel Angst vor ihr hat.«
    »Verdammter Mist. Wenn Sextio tot ist und Primus die anderen dabei hat, sind wir zu wenige.«
    »Es ist bald vorbei.« Der Sprecher entfernte sich und rief über die Schulter: »Schafft sie zu Hautlos. Soll der Gott sie holen, wenn er kann. Jeder sollte eine letzte Mahlzeit haben.«
    »Ich hasse das«, murmelte der Treter. Er packte meine Füße und begann mich zu ziehen. Das vervielfachte meinen Schmerz. Dann ließ er meine Beine fallen und ging einen Moment zur Seite. Ich hatte ein paar flüchtige Fieberträume von Freiheit, bis die Glocke auf meine Brust fiel. Sie war übersät mit Tropfen von Quecksilber.
    Ich sah Spiegelbilder meines Gesichtes in jeder kleinen Kugel. Mein Körper rumpelte über den Boden und ein paar Stufen, während meine Schulter kalt wurde. Mein Aussehen schien sich zu ändern, wandelte sich in einem Quecksilbertropfen zu einer Bauersfrau wie die jammervolle Shar auf Papas Hof. In einem anderen Tropfen war ich eine Priesterin vor einem funkelnden Altar mit Silbertränen im Gesicht. In wieder einem anderen trug ich einen seltsam geformten Helm und schwang ein Schwert, von dem Blitze zuckten.
    Ohne Ende, wie die Gesichter in den Lilien meines Traumes. Ich wurde zu hundert winzigen, unvollkommenen Kopien meiner selbst. Hatten sich so die Titanengötter und Göttinnen gefühlt, als sie auseinanderbarsten?
    Eine Metallplatte glitt in mein Gesichtsfeld. Eine eiserne Falltür, wurde mir am Rande bewusst. Ich starrte auf den Priester in seinem schlecht sitzenden Wams, dem Pickel auf der Nase und Mordlust in den Augen. »Ihr werdet alle sterben«, sagte ich ihm.
    »Jeder stirbt.« Er schob mich in ein Loch. Ich fiel in die Dunkelheit.
    Ich erwachte in schwärzester Nacht.
    Alles ist verloren! Ich war nicht zu dem Überfall gekommen, weder mit meinem kleinen Messer noch mit Hautlos.
    Hautlos. Der Name ließ den Rest meines Körpers so eisig werden wie meinen linken Arm. Ich wusste, dass er noch da war, denn er drückte gegen mich, aber er fühlte sich an, als hätte ich jemand mit einem Ausbeinmesser abgeschnitten.
    Nacht oder ein sakrales Labyrinth in einem Tempelkeller, in dem niemand sich die Mühe gemacht hatte, die Gaslampen anzuzünden. Etwas war ganz, ganz nah bei mir. Etwas, das nicht atmete. Ich wollte die Augen öffnen, doch sie waren bereits offen.
    Schwarz, schwarz wie der Untergrund ohne Moderlicht. Schwarz wie das Herz des Peingottes.
    Ein schnüffelnder Laut. Feuchtigkeit nah an meinem Gesicht. Eine plötzliche, überwältigende Woge von Fleischgeruch, als wäre meine Nase gerade aufgewacht.
    »Hautlos«, flüsterte ich. »Du kennst mich.«
    Was natürlich eine Lüge war. Ich hatte gegen ihn gekämpft, als er die Tanzmistress fortschleppte. Seither war alles bergabgegangen.
    Zwei große Hände nahmen mich, als wäre ich ein Püppchen. Eine raue Zunge leckte das Blut an meiner Schulter und gewährte mir neue Schmerzen dafür. Dieses Mal unterdrückte ich den Schrei nicht. Wozu auch? Es gab nichts mehr zu verbergen. Nicht hier, am Ende aller Dinge.
    Wir setzten uns in Bewegung. Wozu Hautlos auch immer sonst eines Theopomps bedurfte, heute jedenfalls schien er Septio nicht zu brauchen.
    »Ich hielt ihn in den Armen, am Tag, bevor er starb«, flüsterte ich. »War er dein Freund?« Mein Atem schmerzte in der Brust, doch ich hätte nicht sagen können, ob der Schmerz von meinem verletzten Körper oder meinem wunden Herzen herrührte. »Als der Tod nicht mehr zu überlisten war, erlöste ich ihn.«
    Mein Kopf wurde klarer. Stunden unter der Peitsche verliehen mir einen gewissen Durchblick, womit auch immer mein Verstand zu kämpfen hatte. In diesem Schmerz war keine Lust, aber ich hatte solches Ausmaß schon erlitten, ohne den Verstand zu verlieren.
    Wir rannten,

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